In Hofmannsthals „Buch der Freunde” stieß ich auf eine Kurzanekdote des Athenaios: Ein junger Ionier tritt in Athen in goldgesäumtem Purpurgewand auf. Man fragt ihn nach seiner Heimat, und er antwortet: „Ich bin reich.”
Ha! Der erste Anywhere – –
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Für die tägliche Dosis degout sorgt, wenn gerade kein anderer zur Stelle ist, recht verlässlich der aktuelle Bundespräsident.
In seiner Rede zum 3. Oktober verkündete Steinmeier den schon länger hier Parierenden: „Wie grundsätzlich verschieden war 1871 von 1990. Mit eiserner Hand wurde im Kaiserreich auch nach innen durchregiert. Katholiken, Sozialisten, Juden galten als ‚Reichsfeinde‘, wurden verfolgt, ausgegrenzt, eingesperrt; Frauen von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen.”
Der Bundespräsident erklärt: Juden galten im Kaiserreich als Reichsfeinde, wurden verfolgt, ausgegrenzt und eingesperrt.
Und kurz darauf heißt es: „Die Wiedervereinigung von 1990 wurde gerade nicht begleitet von Säbelrasseln und Eroberungskriegen.”
1871 führte Preußen also einen Eroberungskrieg* gegen Frankreich, heimtückischerweise trotz französischer Kriegserklärung.
Ist dieser Mann noch bei Sinnen?
Für dergleichen Aussagen kursieren hierzulande derzeit folgende und zum Teil auch von unserem in stündlich zunehmender Apokolokyntosis** ergrauten Nationalstaatsbestattungsredner verwendete Begriffe: Fake news, Fake history, Geschichtsklitterung, Geschichtsrevisionismus. Weder galten Juden im Kaiserreich als „Reichsfeinde”, noch wurden sie staatlich verfolgt oder gar wegen ihres Judeseins eingesperrt.
Vielmehr erhob die Reichsverfassung von 1871 alle deutschen Juden zu gleichberechtigten Staatsbürgern. Juden gründeten Unternehmen, stiegen auf im Bankwesen und an den Universitäten, strömten in die freien Berufe. Gerson von Bleichröder war „der Bankier Bismarcks”, der Reeder Albert Ballin gehörte zu den engsten Vertrauten Kaiser Wilhelms II. Die Gemeinden blühten, zahlreiche neue Synagogen wurden gebaut – womöglich nicht ganz so viele wie inzwischen Moscheen in der Bundesrepublik, aber Moschee und Synagoge, das ist ja im Grunde das gleiche, gerade für Juden. Es folgen ein paar Beispiele (nehmen Sie die Menge bitte als eine Art Antiklimax zu Steinmeiers bizarren Behauptungen):
Eppingen (eröffnet 1873)
Heilbronn (1877)
Laupheim (1877)
Heidelberg (1878)
Göppingen (1881)
Bruchsal (1881)
Konstanz (1883)
Ettlingen (1889)
Pforzheim (1892)
Baden-Baden (1899)
Weinheim (1906)
Künzelsau (1907)
Bamberg (1910)
Wem aufgefallen ist, dass es sich, von Bamberg abgesehen, um Beispiele aus Baden-Württemberg handelt: In der Tat, ich habe nur ein Bundesland ausgewählt, und dort lediglich die repräsentativeren Bauten; sie mögen als Partes pro toto hinreichen, sonst würde die Liste endlos. Allein in Berlin sind im Kaiserreich sieben neue jüdische Gotteshäuser eröffnet worden (für eines davon steuerte Seine Majestät persönlich die Wandverkleidung bei). Alle diese Synagogen wurden von den Nationalsozialisten zerstört. Und das dürfte auch der perfide Grund sein, warum Steinmeier die Juden mit den Sozialistengesetzen und dem Kulturkampf framt. Der Präsident von Gnaden der Antisemitenimportspediteurin Merkel will den historischen Analphabeten, die er offenbar in großer Zahl unter seinen Zuhörern vermutet, das Kaiserreich als logisches Prius der nationalsozialistischen Judenverfolgung verkaufen.
Die Vermutung, dass Steinmeier bzw. seine Redenschreiber keine besonders gebildeten, wenngleich desto fester in ihrem sozialdemokratischen Glauben ruhende Menschen sind, habe ich in diesem Diarium gelegentlich ausgeführt und mit Beispielen unterfüttert. Aber diesmal hat sich unser Lapis villicus bzw. Lapis stultus (um ein Wort zu lateinisieren, welches Eckhard Henscheid dereinst für einen gemütvoll vergaunerten Linken prägte) in die Sphären der retrospektiven Niedertracht salbadert.
* Wenn Steinmeier auf den Elsaß und Teile Lothringens anspielt, müsste er immerhin von einem Rückeroberungskrieg sprechen.
** „Verkürbissung” (so Seneca über Kaiser Claudius, sicherheitshalber nach dessen Ableben)
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Noch ein Wort zu den anderen Unterstellungen von Merkels präsidialem Bauchredner.
Frauen waren zu Kaisers Zeiten überall auf der Welt „politisch ausgeschlossen”, obwohl sie seit 1908 in Deutschland immerhin in Parteien eintreten und dort Ämter ausüben durften. Das aktive Wahlrecht für das schöner konstruierte Geschlecht wurde in Deutschland 1918 eingeführt, wie übrigens auch in England; die frivolen Französinnen hatten bis 1944 Gescheiteres zu tun, dann mussten oder durften auch sie ran. Der Vorwurf an das Kaiserreich, es habe kein Frauenwahlrecht gestattet, ist ungefähr so sinnvoll wie die Bezichtigung, man habe sich unter Kaiser Wilhelm ausschließlich mit mechanischen Zahnarztbohrern traktieren lassen müssen.
Bei den Sozialistengesetzen handelte es sich um ein ähnliches staatliches Vorgehen gegen die Opposition, wie es die „Altparteien” (Claudia Roth) heute gegenüber der AfD praktizieren, wobei damals die Polizei für jene Exklusionsmaßnahmen zuständig war, die im smarten Gesinnungsstaat von der solide durchalimentierten sogenannten Zivilgesellschaft – sowie, was die härteren Fälle betrifft, von der Antifa – erledigt werden. Weil die Parallelen so entlarvend sind, zitiere ich nochmals den SPD-Politiker und späteren Reichswehrminister Gustav Noske, der in seiner Autobiographie über die Zeit der Sozialistengesetze geschrieben hat:
„Nur ganz wenige Wirte gaben zu Zusammenkünften mit größter Heimlichkeit ihre Lokale her, weil sie polizeiliche Maßregelung zu gewärtigen hatten. Jahrelang sind politische Besprechungen kleinerer Kreise als Landpartien im Wald aufgezogen worden. Kleine Gruppen fanden sich auch als Pfeifenklub, Sparverein und unter anderen Verhüllungen zusammen. Das Spitzelwesen war stark.” Dennoch kam es vor, wie Brigitte Seebacher-Brandt in ihrer August-Bebel-Biographie schreibt, dass Anträge, die Bebel als Mitglied der 2. Kammer des sächsischen Landtags stellte, „von der bürgerlichen Kammermehrheit angenommen wurden” (bei AfD-Anträgen ist das ausgeschlossen).
Bismarck hatte zwei Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878 zum Anlass genommen, die Sozialdemokratie in die Illegalität zu drängen. Damals rückte die regierungsnahe Presse die Attentäter in die Nähe der Sozialdemokraten, was speziell bei einem von beiden, Max Hödel, nicht schwer war, denn er hatte zuvor der SAPD angehört. Nach dem ersten Anschlag war Bismarcks Ausnahmegesetz noch im Reichstag gescheitert, aber nach dem zweiten Attentat, bei dem der Monarch schwer verletzt wurde, trat das Sozialistengesetz in Kraft. Malen wir uns zwei Anschläge auf die Bundeskanzlerin oder auf Herrn Steinmeier aus, die Allah verhüten möge: Von taz bis FAZ täte die kanzleramtsnahe Presse nichts anderes, als eine Verbindung zur AfD und zu den Rechten herzustellen, und es wäre fraglich, ob im allerbesten Deutschland tatsächlich zwei Anläufe zum Verbot erforderlich wären…
Im „Kulturkampf” mit der katholischen Kirche indes regierte Bismarck tatsächlich mit eiserner Hand. Er ließ im großen Stil Kurienbesitz beschlagnahmen und Hunderte katholische Geistliche hinter Gitter setzen (wobei sie dort noch nicht die vergnügliche Bekanntschaft mit schwarzen Drogendealern und arabischen Messerstechern schließen konnten, was einem Knastaufenthalt ja erst sozialpädagogische Würze verleiht). Die Pointe des Kulturkampfes aus heutiger Sicht besteht darin, dass Steinmeier und Genossen inhaltlich sehr auf Seiten des Eisernen Kanzlers stünden, sowohl bei der Trennung von Staat und Kirche als auch bei der Einführung der „Zivilehe” (seinerzeit einer der Zankäpfel), ohne welche eine „Ehe für alle” nimmermehr hätte vorstellig werden können.
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Der Süddeutsche Beobachter beim Differenzieren „emotional Getriebener”:
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In Zeiten, wo die Regierung eine unaufgeregte Todesangst zur ersten Bürgerpflicht erklärt, ist es löblich, wenn die Intelligenzpresse Argumente liefert:
Das sind natürlich deprimierende Verhältnisse; Camus würde sich heute keine Klippe mehr suchen, sondern einen Superspreader-Hotspot. Aber stimmt das auch? Rechnen wir mal ganz grob nach. In den USA gab es der letzten veröffentlichten Statistik anno 2016 zufolge rund 40.000 Verkehrsunfalltote, also 3300 im Monatsschnitt. An Covid-19 starben dort in diesem Jahr knapp 210.000 Menschen. Geteilt durch neun Monate sind das 23.300 monatlich.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass Autofahrer zwischen 20 und 80 Jahre alt sind, die in Rede stehende Altersgruppe der 55- bis 64jährigen folglich ein Sechstel ausmacht und Unfallopfer altersmäßig halbwegs gleichverteilt sind, dann sterben in den USA pro Monat durchschnittlich 550 Personen in dieser Altersgruppe an Verkehrsunfällen. Wenn sie angeblich ein 50fach höheres Risiko haben, vom Coronavirus dahingerafft zu werden, müssten monatlich 27.500 55–64jährige sterben. Also mehr, als jeden Monat insgesamt dem Virus zum Opfer fallen.
Mmh.
Im Vereinigten Königreich gab es bislang 42.300 Coronatote, also monatlich im Schnitt 4700. Der Straßenverkehr kostet bei den freundlichen Briten nur knapp 2000 Menschen im Jahr das Leben – 165 im Monatsschnitt. Geteilt durch sechs ergibt das 27, mal 200 (200-fach höheres Risiko) = 5400. Auch hier ist die Zahl derer, die in der Gruppe der 55–64jährigen sterben müssten, höher als die Gesamtzahl der monatlichen Toten in sämtlichen Altersgruppen.
Wenn man jetzt noch in Betracht zieht, dass Covid-19 vor allem Menschen umbringt, die alt oder sehr alt sind, also älter als 55 bis 64, dann –
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Das meint der Leser:
„Sehr geehrter Herr Klonovsky,
ein berühmter deutscher Mythomane (‚fantastischer Pseudologiker’) war Karl May. Er konnte feine Geschichten erzählen, die freilich mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatten – und er hat bis zum seinem Ende geglaubt, ‚Old Shatterhand’ zu sein. Ein ’notorischer Lügner und Selbstbetrüger’ par excellence, der das Glück hatte, durch den Verkauf seiner Bücher im Alter doch noch reich zu werden, nachdem er wegen seines psychischen Schadens viel Ungemach im Leben erleiden mußte.
Steinmeier ist der neue Karl May an der Spitze des Staates, er kann tolle Geschichten erzählen und moralische Imperative verteilen, aber man darf nicht meinen, seine Geschichten hätten mehr mit der Wirklichkeit zu tun als die von Karl May. Komanchen, Apachen, Sioux, Wilhelm II, Hitler, Juden, Rechtsradikale… Worte, Namen, Reizworte für Reizwortgeschichten, nichts mehr.
Also, bitte, stellen Sie sich einfach die Regierung mitsamt unserem Präsidenten sowie weite Teile der Pseudo-Opposition als Klone von Karl May vor, die einander gegenseitig Geschichten erzählen, deren einziger Realitätsausdruck darin besteht, daß sie den echten, psychologisch definierten Wahnsinn der Erzähler bestätigen: Pseudologica Phantastica.
Solange man sich der Wirklichkeit verweigert und die Augen schließt, um nicht zu sehen, daß wir von Wahnsinnigen regiert und überwiegend von Wahnsinnigen darüber informiert werden, was die Regierung beabsichtige, solange man sich weigert zu begreifen, daß ein Claas Relotius nicht die Ausnahme, sondern das Muster, die Regel eines ‚Haltungsjournalisten’ ist, daß Steinmeier unser Karl May an der Spitze ist, und also seine Geschichten unterhalten wollen, ihm Aufmerksamkeit und sein fürstliches finanzielles Auskommen garantieren, solange kann man sich selber belügen und sich wundern, wieso ’so ein Mann’ an so einer ‚respektablen Stelle’ solchen Unsinn verzapft.
Das gleiche gilt übrigens auch für Prof. Drosten, ein weiterer Karl-May-Klon, der sich für einen Wissenschaftler hält, aber Geschichtenerzähler ist, in dem Fall ein Panik-Geschichten-Erzähler, er sollte Abenteuer-Romane schreiben oder Drehbücher für Horror-Filme. Viele Professoren sind Karl-May-Klone, die überzeugend abwegige, aber real klingende Reizwortgeschichten erzählen können!
Sie, bester Herr Klonovsky, haben das mehrfach selber geschrieben und so frage ich mich, wieso Sie es nicht in solchen Zusammenhängen klar benennen: wir leben in einer Lügenrepublik.
Noch eine persönliche Frage: Was werden Sie tun, wenn Corona-Leugnen (wie in GR und Fr) in Deutschland als Straftatbestand definiert wird und natürlich wie beim Holocaust-Leugnen auch schon eine ‚Relativierung der Opferzahlen’ automatisch ‚Leugnen’ bedeuten und mit Gefängnis bestraft wird?
In dem Moment werden alle deutschen alternativen Medien entweder schließen oder auf Staatsfunk umstellen. Werden Sie in den Untergrund gehen, eine Darknet-Seite betreiben, werden Sie schweigen lernen oder die Lüge fortan als Wahrheit bejubeln? Oder werden Sie einen modernen Giordano Bruno geben und für ihre Überzeugung in ein Arbeitslager gehen?
Denn eines müssen wir klar sehen: Die notorischen Lügner sind zu jedem Akt der ‚brachialen Gewalt’ gegen alljene bereit, die der Wahrheit verpflichtet sind.”
Und das meinen Leser des Lesers:
„Sehr geehrter Herr Klonovsky, dieses Karl-May-‚Bäsching’ des Leserbriefschreibers kann man so nicht stehen lassen. Den Schriftsteller, der Millionen Menschen weltweit begeistert, sei es auch mit erfundenen Geschichten (immerhin ein Merkmal der Schriftstellerei) als Vergleich zu den abgrundtief verlogenen armen Würstchen in der Politik und deren Wasserträgern aus der „Wissenschaft” hinzustellen – das hat schon was.
Man muß ja nicht jeden Schriftsteller mögen, aber es gibt ausreichend adäquate Typen, die für des Schreibers immerhin zutreffende Analysen geeignet gewesen wären. Vielleicht sollte er mal darauf rumdenken: Wem hat Karl May mit seinen Taten geschadet?”
„Ein international(!) renommierter Virologe mit einem enormen H‑Wert von 90 wird mit Ihrem Provinz*** Steinmeier in einen ‚Karl May-Topf’ geworfen. Wie lange noch, Herr Klonovsky? Drosten hat so viel mit Berlin/Deutschland zu tun wie Einstein mit Bern. Beide spielten und spielen in einer ganz anderen Liga. Und bitte ergänzen Sie Ihre Statistik, indem Sie hinzufügen, wie außerordentlich gering die Wahrscheinlichkeit für eine junge Deutsche ist, des Nachts von einem hineingeschneiten Analphabeten beschlafen und gemessert zu werden. Wenn schon abwegige Vergleiche, dann bitte consequent.
Gruß aus dem von Freiheits-Boris streng reglementierten Corona-England.”