„Man kann Deutschland nur mit gebrochenem Herzen lieben” (Frank-Walter Steinmeier).
(Leser ***)
***
Ein orthodoxer Geistlicher erzählt von einem Gespräch, das er mit einem Imam über Christentum und Islam führte. Kernaussage des Letzteren: Jesus Christus bzw. Isa Ibn Maryam sei schon ein großer Prophet gewesen, aber was sei das für ein Mann, der in seinem Alter noch keine Familie gegründet und keine Kinder gezeugt habe?
***
Das aktuelle Gewürge und Flügelschlagen nach dem AfD-Ausschluss des Andreas Kalbitz wird von der Unterstellung an die Adresse Jörg Meuthens begleitet, er wolle aus der AfD ein Anhängsel der CDU machen. Der von mir als Typus sehr geschätzte Gevatter Kubitschek schreibt das zum Beispiel. Aber es handelt sich um eine völlig ungedeckte Behauptung; „man fühlt die Absicht, und man ist verstimmt” (Goethe, „Tasso”). Wer nicht pro Flügel ist, ist pro CDU, das hätte seine Entsprechung ungefähr in: Wer nicht pro Meuthen ist, ist pro NPD. Es ist ein Flügelmärchen, dass sich die AfD ohne Flügel der CDU andienen würde. Wäre ich ein Flügler, ich würde es verbreiten.
Schief ist auch der von Kubitschek angestellte Wählerstimmenvergleich zwischen Hamburg, wo die AfD unter der Führung von Alexander Wolf bei den Bürgerschaftswahlen 5,3 Prozent holte, mit Brandenburg, wo die Partei unter Kalbitz knapp 25 Prozent einfuhr. Er wird einzig deshalb angestellt, weil Wolf im Bundesvorstand für den Ausschluss von Kalbitz gestimmt hat, womit bewiesen wäre, dass der Unfähige den Fähigen aus der Partei gekegelt hat.
Kameraden, ich schwöre auf den Koran und verwette meine Stalin-Werkausgabe, dass Kalbitz in Hamburg knapp über 5 Prozent und Wolf in Brandenburg knapp unter 25 Prozent geholt hätte.
„Was Meuthen tat, wird in der AfD zum Flächenbrand werden. Genau so und nicht anders will es das Establishment haben”, schließt Kubitschek seinen Kommentar.
Kann sein, kann auch nicht sein. Kann nämlich auch sein, dass gerade der Flügel diesem Establishment sehr zupass kommt. Hui-buh!
***
Dass wir unter einem Sprachregime leben, ist zwar der Mehrheit der Menschen klar, wird aber von dessen Agenten und Nutznießern vehement bestritten. Sie verbreiten stattdessen auf allen offiziellen Kanälen das Gerücht, ihr Regime versuche lediglich, die Gesellschaft bzw. die Welt vor falschen, bösen und wenig hilfreichen Ansichten zu schützen. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand öffentlichen Druck ausübt oder empfängt. Die Leugnung der Tatsache, dass überhaupt so etwas wie Druck existiere, gehört zum smarten Gesinnungsgouvernantentum, das die direkten, teils plumpen, teils brutalen Formen staatlicher Repression abgelöst hat, so wie auch keine Geheimpolizei mehr die Menschen abholt, foltert und verschwinden lässt, sondern Dissidenten heute der Ächtung und sozialen Isolation anheimgestellt werden, was sich bei Bedarf zur Existenzvernichtung samt Überantwortung an die Behandlungsmethoden der sich selbst für Anti- haltenden Neofa steigern lässt.
Die Beantwortung der Frage, wer dieses Regime ausübt, zu welchem Zweck und nach welchen Regeln es herrscht, ist vielfach versucht worden, unter anderem hier in dieser moralischen Jahrmarktsbude. Sein Personal wird wahlweise unter den Begriffen Globalisten, Universalisten oder „Anywheres” rubriziert, dessen Antipoden bzw. die von ihm Traktierten firmieren symmetrisch dazu unter Patrioten, Partikularisten oder „Somewheres”.
Es handelt sich bei den Universalisten um ein recht heterogenes Personal, was in einer sozial – zumindest außerhalb der Köpfe – immer stärker ausdifferenzierten Gesellschaft wenig erstaunlich ist,
und deshalb ist auch die Opposition gegen dieses Regime sehr heterogen. Den Frontverlauf markiert eine weitgehend unsichtbare Linie zwischen dem Willen zur Behauptung von Identität und dem Willen zur Auflösung von Identität. Während die Universalisten eine Weltrepublik anstreben – wozu ihre Förderung der Identity politics im eklatanten Widerspruch steht, zu diesem Doppeldenk gleich –, glauben die Partikularisten nicht an die Existenz einer ausschließlich mit sich selbst identischen Menschheit, nach ihrer Ansicht wird die Erde ein Pluriversum bleiben, und der nationalstaatliche Spatz in der Hand ist ihnen lieber als die globalistische Taube auf dem Dach.
Da die nationalen Klausuren immer dünnere Wände bekommen, die immer durchlässiger werden für Informationen, Waren, Daten, Touristen, Migranten, Umwelteinflüsse etc., scheint es, als agierten die Globalisten auf der Seite der hegelschen Vernunft und des Fortschritts; aus dieser Perspektive beschleunigen sie bloß, was ohnehin stattfindet. Dann stünde einzig das Tempo der globalen Osmose politisch zur Disposition, gemäß dem Diktum (dessen Urheber mir entfallen ist), Konservatismus bedeute, Entwicklungen so lange hinauszuzögern, bis sie keinen Schaden mehr anrichten.
Die partikularistische Gegenthese lautet, dass die one world in alle Ewigkeit vertagt wird und das westlich-liberale System, dessen Protagonisten sich, analog zu den „Siegern der Geschichte”, für die sich zuvor die Realsozialisten hielten, am „Ende der Geschichte” (Francis Fukuyama) wähnen – ist irgendjemandem schon aufgefallen, wie sehr dieses „Das Ziel ist erreicht”-Diktum, dieses historische Basta! einem „Siegel der Propheten” ähnelt? –, dass dieses westlich-liberale System künftig nur ein Partikularismus unter anderen (China, Islam, ethnisch homogene Zonen, Clangebiete, „Kompetenzfestungen”) sein wird. Dann würden sich, in den Worten von Rolf Peter Sieferle, die Erträumer der multikulturellen Einen Welt in einer „multitribalen Gesellschaft” wiederfinden, „in welcher der Rechtsstaat einen Stamm unter Stämmen bilden kann”. Während diejenigen „Somewheres”, die sich irrtümlich für „Anywheres” halten (weil sie das mit den Reichen, Schönen und Telegenen sowie den Guten, Smarten und Progressisten verbindet), die großen Verlierer der Zukunft sein dürften, werden die wenigen echten „Anywheres” dann die einzigen sein, die tatsächlich den temporären Ort ihrer permanenten Ortlosigkeit immer wieder neu wählen.
***
Bis dahin ist aber noch viel zu demolieren, aufzulösen und zu verteilen, wobei die Abräumer übersehen, „dass Heterogenität ein soziales Zerfallsprodukt ist, das auch ganz ohne ihr Zutun im Übermaß entsteht. Sozialer Sinn und Zusammenhalt hingegen sind knappe Ressourcen.” Also schreibt der Literaturwissenschaftler Michael Esders in seiner Betrachtung „Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme”, die das Terrain aus diskursiven Laufgräben, semantischen Stacheldrahtverhauen und begrifflichen Minenfeldern wie eine Leuchtkugel erhellt. Das Buch ist als nunmehr zehnter Band der Tumult-Werkreihe erschienen, die zum Besten gehört, was zeitgenössische gesellschaftsanalytische Publizistik zu bieten hat.
„Mit der Entfesselung der Differenz”, konstatiert Esders, „lässt sich kein Staat machen. Diversity ist keine Quelle gesellschaftlichen Zusammenhalts.” Gleichwohl wird uns täglich das Gegenteil suggeriert. Aus welchen Gründen?
Nach der Agenda der Diversifizierer handelt es sich um einen Akt der konstruktiven Zerstörung: Altes und Überkommenes wird geschleift, damit das Neue an seine Stelle treten kann. Dieses Neue benötige auch neue, transnationale, tendenziell weltstaatliche Strukturen, wie sie in der EU und der UN, aber auch in metapolitischen globalistischen Organisationen wie der „Open Society”, „Greenpeace” oder der „Melinda & Bill Gates-Stiftung” längst entstanden sind. Der bislang gewissermaßen nach innen gekehrte, in seine jeweiligen Gemeinschaften eingebundene Igelmensch soll, zumindest sofern er weiß und westlich ist, sein nationales, kulturelles, ethnisches, ja sogar familiäres und geschlechtliches Stachelkleid abwerfen, auf diese ganze verstockte Identität verzichten und nach außen überallhin offen – eben „divers” – werden. Da aber die meisten Menschen störrisch und verwurzelt sind, muss dieser Metamorphose auf die Sprünge geholfen werden.
„Destabilisierung und Subversion der Identität” seien „zum obersten politischen und gesellschaftlichen Gebot” erhoben worden, notiert Esders. „Was über Jahrhunderte Loyalität verdient und begründete, gilt nichts mehr und muss überwunden werden.” Im Namen der Diversivität – und das ist immer die Maske des Globalismus – „soll nicht nur die toxische Homogenität der Nationen unterminiert werden; getilgt werden soll auch ihr Bewusstsein der Verschiedenheit und Unverwechselbarkeit. Wenn dies gelingt, kann sich ein Wir nicht einmal mehr in einer gemeinsamen Verlusterfahrung herausbilden.” Dann wäre vollzogen, was Esders „Ent-eignung” nennt.
Eigentlich ist das Wahnsinn, eigentlich wollen das nur die Wenigsten – aber genau dieser Prozess läuft weitgehend störungsfrei vor unser aller Augen ab. Wie ist das möglich? Wie konnte es gelingen, fragt der Autor, „eine Agenda durchzusetzen, die den Interessen der Mehrheit eklatant widerspricht und deren zerstörerische Folgen keinem unverstellten Blick entgehen können? Wie war und ist es möglich, in der Migrations‑, Klima- und Identitätspolitik die Evidenz des Augenscheinlichen und Offensichtlichen dauerhaft außer Kraft zu setzen?”
Die Antwort lautet: durch Manipulation. Durch semantische Dressur. Durch eine Gehirnwäsche (den Begriff selber verwendet Esders nicht), die sich von der realsozialistischen insofern deutlich unterscheidet, als sie auf dem Terrain einer noch halbwegs funktionierenden Rumpfmarktwirtschaft stattfindet und ihre Folgen wie ungedeckte Schecks in die Zukunft vertagt sind. Durch ein Sprachregime, das mächtig genug ist, um den Menschen ihre Alltagserfahrungen als untypisch und unrepräsentativ auszureden („Das Ziel semantischer Politik ist die Modellierung der Wahrnehmung”). Durch „Kanalisierung des Denkens”, Kriminalisierung von Wortfeldern und Zersetzung logischer Grundsätze im orwellschen „Doublethink”.
Halten wir hier kurz inne. Als ein Beispiel für das Prinzip des Doppeldenk nennt der Autor, der 1999 mit einer literaturtheoretischen Arbeit über „Philosophie als kurze Prosa von Friedrich Schlegel bis Adorno” promoviert wurde, dass Regierungspolitiker gleichzeitig eine „spürbare Begrenzung” der Zuwanderung fordern und sich doch gegen eine „Obergrenze” aussprechen können, ohne dass sie ein Medienschaffender auf diesen Widersinn hinweist. Ähnliches gelte für die Larve der „verpflichtenden Unverbindlichkeit”, hinter welcher der „Global Compact for Migration” an der Öffentlichkeit vorbeigeschmuggelt wurde.
Man kann hier beliebig fortfahren: Geschlecht ist konstruiert, aber Frauen müssen mit Quoten gefördert werden; Grenzen lassen sich nicht schließen, ja nicht einmal kontrollieren, es sei denn, man schließt und kontrolliert sie doch wegen eines Virus; wenn Trump zwecks Pandemie-Bekämpfung Einreisebeschränkungen erlässt, grenzt er Menschen aus, wenn Merkel dasselbe veranlasst, handelt sie staatsklug und bedacht; außergewöhnlich hohe Temperaturen an einem Ort bezeugen den Klimanotstand, außergewöhnlich niedrige an einem anderen Ort sind Wetter; es gibt keine deutsche Identität, aber jede ausländische Minderheit in Deutschland hat eine; das Patriarchat ist die Ursache allen Übels, aber männliche Refugees mit rigide patriarchalischen Gesellschaftsvorstellungen sind welcome; in mehren deutschen Großstädten sind die Deutschen, die schon länger hier leben, bereits eine Minderheit, es gibt sogar einen Pakt über Replacement (= Austausch) migration, aber ein Bevölkerungsaustausch findet nicht statt; Straftaten von Migranten oder Anschläge radikaler Moslems sind Einzelfälle, für die außer dem Täter niemand verantwortlich ist und die sich niemals addieren, jede Gewalttat von rechts jedoch hat Vordenker, Hintermänner und Strukturen bis ins Parlament hinein; wenn Politiker der „Altparteien” (Claudia Roth) Politiker der AfD als „Brut”, „Abschaum”, „Nazis” oder „Schande” beschimpfen, ist es eine „hitzige Debatte”, im umgekehrten Fall indes werden „Hass” und „Hetze” daraus; wenn Linksextremisten AfD-Politiker attackieren, nutzt die Partei es, um „sich als Opfer zu stilisieren”, überfallen dieselben Linken ein Team der heute-show, ist es „ein Angriff auf die Pressefreiheit”. (Noch mehr Doppeldenkbegriffe hier oder hier.)
Zum Doublethink gehört natürlich die Doppelzüngigkeit bei der Behandlung des Islam:
(Netzfund)
Esders spricht von einem „gezielten Anschlag auf die politische Urteilsfähigkeit”, mit dessen Verstetigung die „Ingenieure der Mehrheitsmeinung” das Ziel verfolgen, sich ein Publikum zurechtzukneten – „Knechte erknet ich mir nur!” (Wotan, Walküre, 2. Aufzug 2. Szene) –, welches „selbst ein Höchstmaß an kognitiver Dissonanz” nicht mehr als störend empfindet: „Die Lüge konsoniert, sie fühlt sich gut an.”
Eine solche Dressurleistung gelingt nicht über Nacht. Erst „eine jahrzehntelange begriffliche Vorarbeit” habe das heutige Sprachregime und die mit ihm verbundenen Forderungen an die Noch-Mehrheitsgesellschaft ermöglicht. Die Linke habe die Waren- durch die Diskursanalyse ersetzt und sich damit eine Domäne gesichert, „die ihr für Jahrzehnte niemand streitig machen sollte”. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und einer darauf folgenden kurzen Phase der Irritation und Zerknirschung „erfand sie sich unter der Signatur von Schrift und Differenz, unter der Ägide der Diskursanalyse und Machtkritik neu”. Die geistigen Wegbereiter dieses von innen kommenden Angriffs auf das westliche Immunsystem waren Denker wie Derrida, Foucault, Lyotard, Deleuze, die französischen Ableger der Frankfurter Schule und natürlich allesamt Enkel von Marx, Bastarde von Freud und linke Adepten (= Verfälscher) Nietzsches. Auf welches Niveau ihr Denken dereinst versimpelt und erniedrigt würde, ahnten zumindest die beiden Erstgenannten nicht; ob es eine gerechte Strafe ist, stehe dahin.
Die gescheiterten Revolutionäre verwandelten sich in „Partisanen der Vielfalt und der Differenz”. Mit der Identitätspolitik fanden sie schließlich „ein Betätigungsfeld, in dem eine ’sprachpolitische Veränderung der Verhältnisse’ tatsächlich aussichtsreich ist”. Ihre poststrukturalistische Terminologie wurde „zur lingua franca einer Machtkritik, vor der sich kein Mächtiger fürchten musste”, was die auf den ersten Blick bizarre „Komplizenschaft zwischen der ökonomischen und sprachlichen Deregulierung” erklärt. Eine der unwahrscheinlichsten Allianzen der Weltgeschichte entstand, vergleichbar allenfalls jener zwischen Christentum und Imperium Romanum: Die Linke, sofern sie internationalistisch denkt, verbündete sich mit ihrem ehemaligen kapitalistischen Todfeind, sofern er globalistisch agiert. Der gemeinsame Gegner – die Völker und Nationen, vertreten von den Populisten – schweißt sie zusammen. Die Linke hat begriffen, dass sie den Kapitalismus nicht besiegen, sondern benutzen muss, um auf der Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft den sogenannten gesellschaftlichen Überbau zu beherrschen, statt sich in fruchtlosen eigenen Staatsgründungen zu versuchen.
In diesem Überbau regiert das Sprachregime, vom dem hier die Rede ist.
***
Die Idee, dass eine soziale Gruppe, die herrschen will, dies auch auf dem Umweg über die Erringung der „kulturellen Hegemonie” erledigen könne, geht bekanntlich auf Antonio Gramsci zurück. Dem Italiener stand dabei die Herrschaft der katholischen Kirche über das Denken und den Alltag seiner Landsleute vorbildlich vor Augen – eine Massenbeeinflussung, die seit Anbruch der Neuzeit zunehmend auch ohne direkte politische Macht funktionierte.
Was kulturelle Hegemonie heute bedeutet, lässt sich am besten studieren, wenn die – im allerweitesten Sinne – politische Rechte eine Wahl gewinnt, womit in einer Demokratie ja bedauerlicherweise gerechnet werden muss. Diese Regierung befindet sich vom ersten Tag an unter dem vor allem moralischen Druck einer Öffentlichkeit, in welcher das linke, kulturmarxistische, globalistische, mulitkulturelle Milieu dominiert. Für den Fall, dass der Wahlausgang die Falschen nach oben bringt, hat dieses Milieu längst das metapolitische Vorfeld besetzt und die nichtwählbaren Institutionen unter seine Kontrolle gebracht: Medien, Kulturbetrieb, NGOs, Universitäten, Stiftungen, Kirchen, Gewerkschaften. Wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel sind der Igel der Zivilgesellschaft und der Igel des Deep State längst schon da, wenn der rechte bzw. konservative Hase die Wahlen gewonnen hat und den Wettlauf um die Herrschaft über den Staat antritt.
Diese Erfahrung musste auch Donald Trump machen – er brachte sie mit dem Neologismus „Deep State Departement” grandios auf den Punkt –, doch mit der ihm eigenen schillernden Mischung aus Dickfelligkeit, Egozentrismus, Konkurrenzausbootungsroutine, Humor und seinen finanziellen Möglichkeiten gelang es ihm, „die Kraft des Gegners wie in einer asiatischen Kampfkunst umzuleiten und gegen ihn selbst zu wenden”. Dass er den politischen Kontrahenten mit dessen eigenen propagandistischen Waffen bekämpft, ist das eigentliche Geheimnis von Trumps Erfolg und erklärt nebenbei auch die maßlose Wut, die er auf sich zieht. Dass sein anfänglicher Berater Steve Bannon die „Dekonstruktion des administrativen Staates” als Maxime ausgibt und seine Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway den Begriff „alternative Fakten” erfindet, wirke „beinahe wie eine Parodie des postmodernen Antirealismus”, notiert Esders. Wenn die Faktenverdreher und Tatsachenverschweiger der etablierten Medien Trump unterstellen, die Fake news seien quasi mit ihm in die Welt gekommen, ist das nur noch komisch.
***
Für die Begriffswelten der „Open Borders”-Fraktion mit ihren Formeln wie „Menschheit”, Weltoffenheit”, „Eine Welt” und neuerdings „Klimarettung” prägt Esders den Begriff „Antitopik”. Es ist ein „Vokabular der Entortung und Entgrenzung”. Die „Topik der Ortlosigkeit” setze Ortsgebundenheit mit Beschränkung gleich, um die „Somewheres” zu tumben Hinterweltlern zu erniedrigen. Während der linke Flügel der „Anywheres” den „moralischen Rigorismus einer entgrenzten Verantwortung für den Fremden” predige, seien für den globalwirtschaftlichen Flügel „alle Orte nur Standorte und Absatzmärkte”.
Für die Topik der Ortsgebundenheit ist inzwischen in Deutschland der Inlandsgeheimdienst zuständig. „Der Verfassungsschutz markiert Wortfelder als beliebig erweiterbare Verbotszonen. Auffällig dabei ist, dass er sich in seiner Begründung auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie die ‚Menschenwürde’ des Artikels 1 stützt und alles Definitorische meidet. Begriffe aus der Sphäre linker Sprachpolitik wie ‚geistige Brandstifter’ oder ‚verbal zündeln’ treten an die Stelle juristischer Kategorien. (…) Wer das inkriminierte Wortfeld berührt, ist ein Verfassungsfeind.”
Und bald auch, wer den kleinen Eckladen betritt!
„Jeder Betonung eigener Identität unterstellt man pauschal eine Abwertung des Fremden.”
In der Tat, genau das hat der Verfassungsschutz offenbar ohne jede Satireabsicht Alexander Gauland vorgeworfen, der im Wahlkampf mehrfach den Gedanken vortrug: „Wir sollen uns als Volk und Nation in einem großen Ganzen auflösen. Wir haben aber kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben, damit sind wir Menschheit genug.”
***
Noch zum Vorigen.
Ich habe in den vergangenen Jahren vielfach über Frau Merkels Stummeldeutsch geschrieben, dessen ästhetische und auch semantische Zumutungen ich als Redenschreiber des Oppositionsführers zu ertragen – zu tolerieren – habe, ungefähr wie ich 1988/89 als Korrektor beim Ostberliner Morgen die Lektüre der Reden von Margot Honecker und anderer SED-Chargen ertragen musste. Freilich ist mir im Laufe der Zeit immer deutlicher geworden – penible Leser dieses Diariums haben es verfolgen können –, dass diese auf die erste Lektüre so hilflos und mitunter sacht debil wirkenden Merkel-Vorträge und ‑Statements Methode haben. Man kann auf eine Merkel-Rede nicht antworten. Es gibt darin, von der wohlmeinenden Allgemeingültigkeit und schwammigen Schiefheit ihrer Begriffe ganz abgesehen, nie Ross und Reiter, dafür kaleidoskopartig wechselnde „Wirs”; die Perspektiven, mal global, mal europäisch, mal national, lösen einander munter ab, und wie bei einem Hütchenspieler verschwinden die Probleme mal unter diesem, mal unter jenem Hütchen, um unter einem anderen überraschend wieder aufzutauchen und sich plötzlich in Lösungen verwandelt zu haben.
Merkels Äußerungen sind, wie man sagt, diskursiv nicht anschlussfähig. Dass sie eine Doppeldenkerin sui generis ist, die zu jedem Thema von nationalem Interesse schon einmal diese Ansicht und dann deren genaues Gegenteil verkündet hat, stützt den Befund. Was Merkel von sich gibt, ist Wort für Wort auf seinen Zweck hin kalkuliert. Ich war ein Tor, dass ich eine Weile gebraucht habe, um das zu kapieren.
Wie lange es bei Gevatter Esders gedauert hat, weiß ich nicht; jedenfalls formuliert er die goldenen Worte, man möge „von der vordergründigen Unbeholfenheit” der merkelschen Rhetorik „nicht auf mangelndes Raffinement schließen”. Im Gegenteil: „Die dichte Textur aus Umdeutung und Insinuationen weist darauf hin, dass solche Äußerungen nicht ohne Bedacht fallen.”
Wenn die Kanzlerin beispielsweise in ihrer Rede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erklärt: „Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt …, ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann”, dann ist mit dem (in diesem Kontext) Gaga-Begriff „ausgrenzen” eine kalkulierte Dissonanz gesetzt, die zwar wenig mit der damaligen Wirklichkeit zu tun hat – ungefähr so wenig, wie Rudolf Bahro in Bautzen II. aus der DDR „ausgegrenzt” wurde –, aber zur Anprangerung jeder Art von Grenzverteidigung „als moralisch unzulässige Exklusivität” (Esders) und damit zum politischen Agendasetting durchaus taugt.
Ähnlich wohlgesetzt erscheinen unter dem Tabernakel des Vorsatzes Merkels Worte zu den von ihr erfundenen Chemnitzer „Hetzjagden auf Ausländer”: Es habe, sagte sie, Bilder gegeben, „die sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen” gezeigt hätten. Das a prima vista strunzdumme „damit” ist tatsächlich von einer erlesenen kausalitätsvorgaukelnden Perfidie, an welcher unser kleiner hinkender Doktor aus Rheydt Wohlgefallen gefunden hätte. Dass es zu Chemnitz nach dem landesweit x‑ten Kollateraltodesopfer des Willkommenstaatsstreichs „Hass” gab, kann immerhin als sicher gelten, und obwohl in Merkellegoland die im strafrechtlichen Sinne „Schuldigen” – welche gibt es eigentlich noch? – nicht mehr durch die Bank im Knast sitzen, hätte jene „Verfolgung”, zu welcher die „Hetzjagden” auf einmal zusammengeschnurrt waren, überwiegend „Unschuldige“ getroffen, so sie denn stattgefunden hätte. Das schwammig-bräsige Statement ist in Wirklichkeit ein Meisterstück des Rückzugs unter Einsatz von begrifflichen Rauchbomben.
Der Begriff „Hass” sei ohnehin ein „Passepartout”, kommentiert Esders, „um ein ganzes Meinungsspektrum unter Umgehung strafrechtlicher Kategorien zu kriminalisieren”.
Sowohl „Chemnitz” als auch die „ausgrenzende(n) Mauer(n)” sind überdies gute Beispiele für die Methode des wahrnehmungsverschiebenden Framings, die im Sprachregime beharrlich zum Einsatz kommt. Was die sächsische Stadt betrifft, stilisierten die Wirklichkeitskosmetiker die „Hetzjagd” zum eigentlichen Ereignis, bis der Begriff verzichtbar wurde. „Fortan genügte die Nennung des Namens ‚Chemnitz’, um das gewünschte Frame zu aktivieren”, notiert Esders. „Nicht die Tötung des Daniel H. wurde als Angriff gewertet, sondern die Reaktion auf diese Tat.”
Dasselbe Spiel von Bedeutungsverschiebung und Begriffsbesetzung lief bei der Indienstnahme des DDR-Grenzregimes zur Delegitimierung sämtlicher Grenzen im Sinne von Willkommensdoktrin und Globalem Migrationspakt. Hier kann die Opposition einmal mehr von Donald Trump lernen, wie man den Spieß umdreht; der Präsident „framte” die Grenze zu Mexiko nach seinen Vorstellungen, indem er sie mit Schutz und Sicherheit assoziierte und ihr obendrein das geniale Attribut „schön” zueignete.
Mit dieser Zuschreibung war er übrigens nicht der erste:
„Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.”
(Peter Hacks)
Doch vom Meisterdeutsch eines Stalinisten zurück zum meister*innenhaften Stummeldeutsch einer Globalistin, drittes und letztes Beispiel. „Wer seine Meinung sagt, auch prononciert, der muss damit leben, dass es Widerspruch gibt”, erklärte die Regierungschefin im Bundestag.
Damit, so Esders, unterstelle die Kanzlerin, dass Zeitgenossen, die die Meinungsfreiheit in Gefahr sehen oder ihre Einschränkung beklagen, keine konträre Meinung ertrügen. Und diejenigen, die Vorlesungen von Professoren niederbrüllen oder blockieren, fielen nun in die Kategorie „Widerspruch”.
Merke(l): „Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif.”
Esders: „Das Sprachbild enthält eine unverhohlene Drohung: Wer Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nimmt, muss dafür bezahlen. … Der ‚Widerspruch’, der nicht selten in Handgreiflichkeiten ausartet, ist der zu zahlende Preis.”
Merkel: „Aber die Meinungsfreiheit kennt Grenzen (immerhin die! – M.K.). Sie beginnen da, wo gehetzt wird, wo Hass verbreitet wird. Sie beginnen da, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird.”
Esders: „Merkel bringt die semantisch und verfassungsrechtlich unüberbietbare Menschenwürde, in deren Namen sich fast alles hinterfragen lässt, gegen die Meinungsfreiheit in Stellung. Die Grenzen des Erlaubten markieren nicht die Bestimmungen des Strafrechts, sondern unbestimmte, nicht justiziable Begriffe wie ‚Hass’ und ‚Hetze’.”
Nein, was ihre Semantik betrifft, ist die Bundeskanzlerin wahrscheinlich mit allen Abwassern gewaschen.
***
Grün würgt.
„Man kann es kaum in Worte fassen, was hier geschieht. Eines der im Weltmaßstab zuverlässigsten und sichersten Kernkraftwerke, nämlich Philippsburg Zwei, bis vor fünf Monaten noch im Betrieb, wird gesprengt. Nicht etwa eingemottet, sondern gesprengt. Ein funktionsfähiges Großkraftwerk mit einem geschätzten Restwert von drei Milliarden Euro (dafür müssen 88.000 Durchschnittsverdiener ein Jahr arbeiten), das für einen Gutteil der Stromversorgung von Baden-Württemberg sorgte, CO2-frei übrigens, wird unwiderruflich vernichtet. Ein Land zerstört seine Infrastruktur.” (Weiter hier.)
***
Apropos Willkommenskultur und Doppeldenk:
Wie penibel die Redaktion der Lausitzer Rundschau alle relevanten Fakten in der Überschrift zusammengefasst hat: ein Zweiunddreißigjähriger, eine achtundzwanzigjährige Ehefrau, auf dem Bürgersteig. Dass hier die x‑te Folge der Reality soap „Scheidung auf Afghanisch” läuft, weiß ja ohnehin jeder.