Eine Erwiderung von Artur Abramovych auf Götz Kubitschek
Am 24. Januar veröffentlichte Götz Kubitschek auf der Seite Sezession im Netz einen Text des Titels „Die peinlichen Musterschüler”, in dem er den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen, MdEP, sowie insbesondere Petr Bystron, MdB, AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestags, wegen ihrer proisraelischen Haltung und ihrer Unterstützung der iranischen Oppositionsbewegung kritisierte. Die orliegende Replik von Artur Abramovych, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bundesvereinigung „Juden in der AfD e.V.”, wurde vom Autor zunächst der Sezession zur Publikation als Gastbeitrag angeboten, aber offenbar abgelehnt.
Es bedarf schon einer gehörigen Portion an Chuzpe, um den – von den US-Demokraten unterstützten – sog. Arabischen Frühling, der im Grunde ein Aufstand des Islamismus muslimbruderschaftlicher Prägung gegen an der Macht befindliche säkulare Diktatoren war, in einem Zuge mit den – nun von US-republikanischer Seite wohlwollend aufgenommenen – iranischen Demonstrationen gegen das islamistische Mullah-Regime zu nennen. Aus westlicher Sicht sind diese Bewegungen nicht nur verschieden, sondern geradezu einander entgegengesetzt. Die Gleichsetzung dieser beiden Bewegungen zeugt von einer romantischen (und damit zutiefst deutschen) Regung wider die Zivilisation, die die USA als monolithischen Block empfindet und ihr keinerlei innere Heterogenität zugesteht.
Nachdem in der sezession schon vor Jahren ein Text Chaim Nolls über das unausgesprochene Aufführungsverbot von Voltaires Mohammed-Drama erschienen, nachdem Tuvia Tenenbom in Schnellroda aufgetreten ist und Ellen Kositza begonnen hat, israelische Gegenwartsliteratur zu rezensieren (Ayelet Gundar-Goshens Lügnerin, worin übrigens der Antaios-Mythos auf den Zionismus übertragen wird), ist ein solcher Text aus der Feder des Chefredakteurs doch eine Überraschung. Von gewissen Autoren des Blogs, die zu verstehen sich weigern, dass Assads Strategie von Anfang an auf die Vertreibung junger Syrer im wehrfähigen Alter (und damit potentieller Kriegsgegner) ausgerichtet war, und die Schia auf Kosten des Sunnitentums geradezu als Verbündeten Deutschlands anpreisen, hätte man zwar nichts anderes erwartet; allerdings gibt es ja noch hinreichend viele andere Autoren der sezession, die sich, wie es etwa Martin Sellner schon 2012 tat, gegen das „Besatzer-Märchen“ wandten und bekräftigten, dass es „derzeit vielleicht sogar im geostrategischen Interesse von USA und Israel“ läge, wenn sich Europa dazu entschlösse, „Ethnozid, Masseneinwanderung und Islamisierung nicht als Schicksal hinzunehmen“.
Kubitschek jedoch verleugnet schlichtweg die politischen Realitäten, wenn er behauptet, dass die „kleineren mittel- und osteuropäischen Staaten“ (wohl als pars pro toto für den bereits von der politischen Rechten regierten Teil Europas) bestrebt seien, sich der amerikanischen Hegemonie zu widersetzen, und er zugleich eine „bedingungslose“ Unterstützung Israels als mit dieser Hegemonie untrennbar verknüpft nennt. Er bleibt dem Leser allerdings einen Beleg dafür schuldig, wer hier eigentlich eine von den in Israel derzeit an der Macht befindlichen Kräften unabhängige „Bedingungslosigkeit“ einfordert. Denn es sind gerade und ohne Ausnahme die von der politischen Rechten regierten Länder, die sich Israelboykotten verweigern, die Finanzierung „palästinensischen“ Terrors durch die EU anprangern und nicht zögern, dem jüdischen Staat das Recht zuzugestehen, sich, wie jeder andere souveräne Staat der Erde, seine eigene Hauptstadt zu wählen. Geert Wilders lebte in Israel; die spanische VOX hat unmittelbar nach ihrer Gründung eine Israelresolution veröffentlicht, in der sie sich entschieden für die Bekämpfung der Boycott, Divestment and Sanctions-Kampagne (BDS) aussprach – im Gegensatz zur aus dem Iran finanzierten, linksradikalen Podemos-Partei –; und sowohl Prag als auch Budapest und Bukarest waren drauf und dran, das umzusetzen, was HC Strache seinerzeit befürwortete und Salvini kürzlich, für den Fall eines Wahlsiegs, versprochen hat: die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt. Allerdings wurden sie daran gehindert von einer deutschen Bundeskanzlerin, die in Telefonaten ausländische Staatschefs dazu drängt, keine aus ihrer Sicht unvorteilhaften außenpolitischen Entscheidungen zu treffen. Was für jeden nüchternen Betrachter auf der Hand liegt, nämlich dass die Bundesrepublik, als aus einem universalistisch interpretierten Auschwitz gelernt haben wollender Musterschüler, sich zum Ziel gesetzt hat, alle um sich herum zu einem radikalen Gesinnungspazifismus um jeden Preis zu bekehren, und zwar mit dem äußerst deutschen Stilmittel der Moralisierung, – soll sich Kubitschek zufolge genau umgekehrt verhalten.
Petr Bystron, der wohl am besten vernetzte Bundestagsabgeordnete unserer Fraktion, unternimmt genau das Gegenteil von dem, was Kubitschek ihm unterstellt: Es verfolgt eben keinen deutschen Sonderweg, sondern den Anschluss an die international erstarkende Opposition gegen die Zerstörung der Familie, der Nation als Prinzip (statt einer bestimmten einzelnen Nation) sowie des abendländischen Erbes. Diese Opposition – deren ausländische Hauptakteure Bystron, im Gegensatz zu Kubitschek, persönlich kennt – hat in Israel einen zuverlässigen Partner im Kampf gegen die dekonstruktivistische Erschlaffung erkannt; und dass sie sich den zunehmend unverhohlener propagierten Antizionismus der linken, im Juden nur Auschwitz sehenden Philosemiten zunutze macht, kann ihr nur jemand verübeln, der die elementarsten Regeln des parlamentarischen Gefechts nicht versteht oder zu verstehen gewillt ist. (Womit nicht gesagt sein soll, dass der Parlamentarismus der Weisheit letzter Schluss sei; aber wer sich vor einem größerem Publikum zur Systemfrage äußert, sollte bei aller Aversion doch die Spielregeln des herrschenden Systems zumindest kennen.)
Wer zudem mit Bystron Bekanntschaft gemacht hat, weiß, dass er alles andere als assimilatorisch eingestellt ist, sondern sich im Gegenteil seiner ostmitteleuropäischen Herkunft keineswegs schämt. Die regierungsoffizielle politische Auseinandersetzung mit der AfD, die als „Kampf gegen rechts“ eine geradezu eschatologische Dimension angenommen hat, wird mit weitaus unredlicheren Mitteln geführt als mit den jeweiligen Pendants in unseren Nachbarländern; und niemand wüsste das besser als Bystron. Es handelt sich daher um eine Art reichlich unfreiwilliger Komik, wenn ausgerechnet ihn nun vonseiten eines Deutschen der Vorwurf trifft, er, Bystron, sei bestrebt, ein typisch bundesdeutscher Musterschüler zu sein.
Im Übrigen lässt sich Kubitscheks Kritik am – vermeintlich genuin US-amerikanischen und, durch dummdeutsche Übernahme, nun auch in der Bundesrepublik angekommenen – Zionismus der politischen Rechten schlichtweg als Desinteresse an jedweder Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden interpretieren, ganz unabhängig davon, unter welchen Vorzeichen sie sich auch vollziehen mag. Andere rechte Vordenker, etwa der mit Alain Finkielkraut befreundete Renaud Camus, haben erkannt, dass „sehr herzliche Beziehungen“ möglich sind, da es „auf jüdischer Seite zu einer erheblichen und deutlich spürbaren Revision“ (Revolte gegen den Großen Austausch, übers. v. Martin Lichtmesz, Schnellroda 2016, S. 63) gekommen sei. Aber offenbar wünscht sich Kubitschek nichts weiter, als dass man „moralpolitische Verweise auf die ‚deutsche Schuld‘“ künftig unterlassen sowie das „Gängelband“ lockern möge, und pfeift zugleich darauf, was die Juden dazu zu sagen haben und unter welchen Bedingungen sie eine solche Modifikation des derzeit zweifelsohne einseitigen ‚Diskurses‘ begrüßen oder gar unterstützen würden.
Eingedenk all dessen erscheint Kubitschek selbst als derjenige, der einen deutschen Sonderweg vorschlägt. Glücklicherweise ist sich der Großteil der AfD inzwischen dessen bewusst, dass hier nicht für Deutschland allein gekämpft wird und wir Teil einer gesamteuropäischen Widerstandsbewegung sind. Leider freilich scheint das noch nicht überall angekommen zu sein. Die „zuweilen etwas langsam und schwer begreifenden Echt- und Ur-Deutschen“ (Goethe nach Riemer, gerne von Thomas Mann zitiert), diese „Verzögerer par excellence“ (Nietzsche), sind wohl die letzten, die imstande sind, sich als neu-rechts (also wohl nicht als Anhänger des Faschismus) zu begreifen und zugleich von einem „gewissen Kleinstaat im Nahen Osten, der die Menschenrechte beharrlich mit Füßen tritt“ (Thor v. Waldstein), zu schwadronieren; alle anderen Völker um uns herum sind schon wesentlich weiter. Und der Text Kubitscheks ist ein weiterer Beleg für diesen Umstand.
(27. Januar 2020)