Zwei Leserbriefe
Meine Aussage, die AfD möge, wenn es nach mir ginge, ihren politischen Weg in Richtung einer Art deutscher Tories einschlagen (s. den Link am Ende des Acta diurna-Eintrags vom 6. Mai) fand erheblichen Widerspruch seitens mehrerer Leser; den exponiertesten zitierte ich mit dem Eintrag vom 7. Mai. Am 9. Mai folgte der zunächst zitierte Brief, der meine Vergleich wiederum verteidigte, wenige Stunden später und davon unabhängig präzisierte *** noch einmal seine Position. Beide Schreiben sind als Gastbeiträge für die Acta zu lang, aber viel zu intelligent und als Zeugnisse freien Denkens eminent verbreitenswert, weshalb ich ihnen (und womöglich noch der einen oder anderen Zuschrift) diese separate Seite einrichte.
Also denn:
Verehrter Herr Klonovsky,
da Sie Ihrer Aussage wegen, die AfD könne eine Art deutscher Tories werden, von einem auf ein Wort gebeten wurden, der kein Anglophober sein, sondern nur politkulturelle Differenzen feststellen will, obgleich seine durchaus kenntnisreichen Darlegungen den Geist des altdeutschen Ressentiments gegen das perfide Krämerseelenalbion atmen, möchte ich mir auch ein Wort (oder zwei) erlauben.
Ich tue dies 1. in der Hoffnung, einen Mann von Ihrer souveränen Bildung nicht mit Wohlbekanntem zu ennuyieren und 2. in Feststellung des erfreulichen Umstandes, daß Ihr Diarium durch häufige Bezugnahmen auf Jünger, Spengler, Benn usf. davon Zeugnis ablegt, daß Sie in der Konservativen Revolution, wie offenkundig in so vielem, bewandert sind.
Nun verwiesen Sie zwar in Ihrer Erwiderung auf das Wort des bewußten Lesers völlig zurecht durch Anspielung auf die Tage Queen Annes darauf, daß man die Geschichte des Toryism, den man wohl mit Recht als den europäischen Urkonservativismus ansprechen könnte, nicht auf den heutigen Premier, seine Gefolgsleute und Politiken verkürzen sollte. Allein es schmerzt mich in meiner Spleenigkeit, daß Ihnen, zweifellos abgelenkt durch die Last Ihrer vielen Pflichten, entfiel, auch darauf zu verweisen, daß die Differenz zwischen den politischen Kulturen (und ihren je spezifischen Konservativismen) der maritimmerkantilen Britannia, der es allein um Geldbeutel und Aktienportfolio zu tun ist, ohne allen Sinn für den Adel des Geistes, und der kontinentalidealistischen Germania, der es stets um das transpersonale Ganze zu tun ist, ganz ohne alles materielle Eigeninteresse, doch so gewaltig nicht sein kann, wenn es sich so verhält – und das tut es – daß kein geringerer als nun gerade der zeitweilige DNVP-Vor- und Tiefdenker Georg Quabbe in seinem großen Weltanschauungsessay „Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema“, der Wesen und Werden des konservativen Gedankens in Europa in konziser Form meisterhaft darstellt, das Loblied der Tories im allgemeinen und Edmund Burkes im besonderen singt.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es uns, die wir das eine oder andere Buch gelesen haben, gar häufig so ergeht, daß uns das selbstverständlichste ad hoc nicht beifällt. Und was wäre uns selbstverständlicher als Quabbes „Tar a Ri“, dessen Kernpassagen wir als Kenner der KR noch im Vollsuff jederzeit rückwärts aufzusagen wüßten? Allenfalls doch seine brillanten Ausführungen zu Othmar Spann in seinem Utopie-Buch oder vielleicht sein geistvoller Aufsatz über die Wetten in Goethes Faust.
Ich brauche daher nicht eigens in Erinnerung zu rufen, daß der Deutschnationale daselbst erklärt, er „neige mit vielen dazu, in den Engländern eine besonders begabte Nation zu sehen“, da „ihre Meinungen und Taten […] immer ebenmäßig“ sind und daß er die Burk’sche Lehre mit wenigen Sätzen treffend wie folgt paraphrasiert:
„Der Staat ist die Gemeinschaft der Lebenden, die die Aufgabe hat, die überkommene Kultur als Treuhänderin zu bewahren, um sie der nächsten Generation, unangetastet ihrem Wesen nach, ergänzt und verbessert in Einzelheiten, weiterzureichen. […] Das Volk behandelt seine Aufgabe unter den Gemüts- und Denkbedingungen einer Familie mit Ehrfurcht vor Tradition und Sitte und dem natürlichen Zuge der Pietät, das Werk der Vorfahren so zu achten, wie sie selber wünscht, von den Nachkommen betrachtet zu werden; sie braucht und sucht wie jede Gemeinschaft zur Erfüllung dieser Zwecke eine Autorität, aber es ist ein revolutionärer Aberglaube, daß diese Autorität, nämlich die Regierung, und die Regierten in einem natürlichen Gegensatz zu einander zu sehen.“ (Georg Quabbe. „Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema“. Toppenstedt, 2007: S. 30 u. 51 [= Quellentexte zur Konservativen Revolution. Die Jungkonservativen: Bd. 2].)
In der Tat eine dem deutschen Wesen gänzlich fremde und unannehmbare Lehre.
Auch brauche ich nicht zu erläutern, daß der Titel des Buches den lang verklungenen, gälischen Liebes- und Schlachtruf der Stuart-Cavaliers aufgreift, der da „Komm, oh König“ bedeutet und von dem der Parteiname der Tories sich herschreibt. Doch freilich waren die diversen englischen Bürger- und Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts Petitessen, weshalb es ganz richtig ist, kulturelle Unterschiede damit zu erklären, daß Deutschland den 30jährigen Krieg erlebte, während England sich zeitgleich nachgerade augusteischen Friedens und bucolischer Idyllik erfreute.
Noch zwei à propos zum „Komm, oh König“.
Erstens besuchte ich vor zwei Wochen unsere alte Kaiserstadt Wien und besah im kunsthistorischen Museum die Ausstellung „Feste feiern“, die einen Bogen von den Turnieren Kaiser Max‘ bis zu höfischen Festen um 1800 schlägt. Der Audio Guide betonte übrigens einleitend, daß Feste stets mit der Überschreitung ständischer und geschlechtsspezifischer Grenzen einhergingen, während nahezu alle Exponate erwartungsgemäß das genaue Gegenteil belegten, so auch eine riesige Damasttischdecke, angefertigt 1527 in Mecheln für Karl V. anläßlich des Ordenskapitel des Ordens vom Goldenen Vlies im Jahre 1531, bestickt mit den Wappen aller Ordensritter, die „nach strikt geregelter Ordnung […] in ihren roten Festornaten Platz“ nehmen mußten, wie es im Katalog heißt. (Mario Döberl. „Zu Tisch mit Kaiser Karl dem V. Das Tafeltuch für den Rittertisch bei Festbanketten des Vliesordens“. In: Sabine Haag/Gudrun Swoboda (Hgg.), Feste feiern. 125 Jahre Jubiläumsausstellung. Wien, 2016: 89f.)
Mit dem Katalog unter dem Arm schlenderte ich im Anschluß an den Besuch der Ausstellung zurück zur U‑Bahn am Stephansdom.
Es war der 22.4., zwei Tage vor dem ersten Wahlgang der österreichischen Präsidentenwahl, und justament als ich am Steffl ankam, geriet ich in die soeben beginnende Wahlkampf-Abschlußkundgebung von Norbert Hofer, die ich mir zumindest teilweise anschauen wollte. Nun ist mir völlig klar, daß Parteien Mehrheiten organisieren müssen und daß man die Massen eher nicht mit der Gemäldesammlung des Hauses Habsburg in Ekstase versetzen kann (mögen die von van Dyck gemalten Cavaliers auch noch so dashing daherkommen) oder sie mit Beethoven’schen Klaviersonaten zu begeistern vermag, jedoch der Skihütten-Austropop der FPÖ-Anheizer hätte insbesondere einem Musikliebhaber wie Ihnen die Tränen in die Augen getrieben – und nicht vor Freude oder Ergriffenheit. Als dann ein junger Mann rustikalen Aussehens, der unmittelbar neben mir stand, auf eine direkt vor der Bühne wehende ungarische Fahne zeigte, auf der zu allem Überfluß groß und deutlich die Heilige Stephanskrone abgebildet war, und seinen Begleiter fragte: „Wos isa dehs fira Fohne? Is dehs Italien?“, überlegte ich mir zu ersten Mal in meinem Leben, auf einer politischen Veranstaltung eine Handgreiflichkeit vom Zaune zu brechen, entschied mich dann aber um, da für einen pencil pusher wie mich gegen die beiden Bauernburschen aus dem niederösterreichischen Waldviertel (so mutmaßte ich) nichts zu gewinnen gewesen wäre.
Glauben Sie mir: Niemand, der Ihr Diarium regelmäßig liest, möchte mit dieser Klientel im selben Boot – oder österreichisch: im selben Schinakel – sitzen.
Zweitens vernahm ich unlängst in einer älteren Fernsehdokumentation zum bereits erwähnten Orden vom Goldenen Vlies, der sich bekanntlich der christlichen Ritterschaft, ja, dem Kamp gegen das Mohammedanertum, verschrieben hatte, welche Dokumentation man auf einem bekannten und beliebten Videoportal anschauen kann (hier) , folgende, bemerkenswerte Worte aus dem Munde des letzten Kronprinzen Österreich-Ungarns, vorletzen Souveräns des Vliesordens und langjährigen CSU-Europaabgeordneten bei Minute 9:12ff.:
„Wer sich ein bißchen mit der Geschichte befaßt, der weiß, daß Burgund sozusagen der Ausgangspunkt der ganzen Entwicklungen auch bei uns, in unserem Raum, also im Donauraum, gewesen ist, denn wir sind ja eigentlich nurmehr Erben der burgundischen Tradition gewesen. Und nachdem eines der Zentralstücke dieser burgundischen Zivilisation und dieser burgundischen Kultur der Orden des Goldenen Vlieses war, den ich ja sehr stark als eine Integration des burgundischen Geistes betrachte, muß ich sagen, daß ich die Aufgabe eines Souveräns des Ordens vom Goldenen Vlies gerade in der jetzigen Zeit, wo wir ja wieder diese Tradition übertragen auf die europäische Einigung, daß das eine selbstverständliche Funktion ist, natürlich immer mit einer Verpflichtung, daß wir darin den Sinn für Geschichte und den Sinn für Tradition erhalten.“
Daß ich den letzten Teilsatz für besonders hervorhebenswert betrachte, versteht sich von selbst.
Vielleicht, da Sie nun das Ohr der Parteispitze der AfD haben, regen Sie einmal an, daß Frau v. Storch, als Europaabgeordnete und geborene Herzogin von Oldenburg aus dem alten, dänischen Königs- und russischen Kaiserhause derer von Schleswig-Holstein-Gottorp (auch für den Thron Englands wäre sie ja unter gewissen Voraussetzungen erbberechtigt) den gegenwärtigen CSU-Spitzeneuropäer Manfred Weber, seines Zeichens immerhin Chef der stärksten Fraktion, mit Otto v. Habsburgs EU-bezogener translatio imperii-Theorie konfrontiert. Vielleicht gewänne die Sache ja so Sinn, Gehalt und Ziel.
Schwenken Sie nur ruhig im beschriebenen Sinne vielleicht nicht den Union Jack, wohl aber die Royal Standard.
Hochachtungsvoll
Ihr
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Nun haben Sie, verehrter Herr Klonovsky,
es in der Tat nicht so leicht, eine vollkommen passende weibliche Führungsfigur in der Geschichte zu finden. Königin Luise ist gewiss zu monarchisch, so dass der Blick natürlich zu schweifen beginnt…
Vielleicht ist mein kleiner ‚Leserschnauber’ dennoch zu etwas gut: zur weiteren Verdeutlichung des Grundes für den zugrundeliegenden Niesreiz.
Meine Frage, ob es denn sinnvoll sei, AfD und Tories in einem Atemzug zu nennen, war nämlich mehr als eine Geschmäcklerischkeit.
Natürlich habe ich Ihre Formulierung, fairerweise sogar an der Grenze zum Hineinlesen auf die Goldwaage gelegt, aber das machen in der politischen Arena, in der Sie jetzt auch unterwegs sind, eben leider und Gott sei Dank nicht nur die Keulenunken, sondern auch die Sympathisanten.
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Der Punkt ist überspitzt gesagt der: die AfD wurde vom „inneren England” gegründet, von Menschen, die sich außer liberaler Ökonomie überhaupt nichts vorstellen und denken können – und diesem Milieu dann gekonnt entwunden.
Als Herr Lucke und Co damals gehen mussten, waren es die vielen „kleinen Leute” unter den Delegierten mit teils konservativen, teils „sozialistischen” (kollektiven, kooperativen, sozialpolitischen) Antrieben, die das auf dem Parteitag mit ihrer Stimme möglich machten.
Die Parteigeschichte: Einer Gruppierung Wirtschaftsliberaler und Adam-Smith-Freaks mit im wesentlichen noch deutschem Pass war aus Versehen, über einer Währungsfrage, und ohne es recht zu merken, am Abend der alten Bundesrepublik unter der Hand eine Deutschlandpartei entstanden, genau in dem Moment als ob der Selbstdemontage der Union und des Selbstmordes der ehedem durchaus landesinteressenaffinen SPD plötzlich eine große Nachfrage danach da war.
In letzter Konsequenz empfinden jene, die in der AfD die Luckes zuletzt rausgestimmt haben und die keineswegs allein flüchtiges Unionsmilieu sind, in diesem Sinne als „konservativ-sozialistisch” (jedoch ohne Plebejertum und rote Fahne), aber eben nicht primär liberal, schon gar nicht im Sinne des (vorherrschenden) reinen Wirtschaftsliberalismus angelsächsischer Provenienz.
Das Wort „liberal”, es klingt auch so fein: das heutige AfD-Publikum wird wenig gegen eine effizient organisierte Müllabfuhr haben, den homo oeconomicus, den Gedanken vom „Jeder gegen Jeden” als Lebenssinn, dem Leben als Geldsammelsportveranstaltung und Omas ironischem „Wenn jeder an sich denkt, ist doch an jeden gedacht” hingegen ziemlich skeptisch sehen. Und zwar, das ist der Punkt, sowohl aus konservativen wie aus „sozialistischem” Impetus. Den einen sind die Nadelsteiflinge pekuniär zuwider, den anderen ideell.
Auf den Spuren des Liberalismus in Deutschland, da ist man eher auf den Spuren von Theodor Körner, der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne, Ludwig Uhland oder der Paulskirche unterwegs.
Auf der deutschen Rechten liberal-konservativ akzeptabel (für die Industrie und das Wirtschaftsministerium usw. natürlich unverzichtbar) ist hierzulande der schwarzrotgoldene Zahlenbegabte – nicht der global austauschbare und kulturaseptische Zahlenfunktionär. Man vergleiche einmal Karl Schiller und Mario Draghi.
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Britischer Liberalismus und britischer Konservatismus sind kompatibel. Wobei auch die „Conservative Party” erzliberal ist – und zwar im selben Sinn des 19. Jahrhunderts. Deutscher Liberalismus und Konservatismus sind ebenfalls kompatibel. Nur das hier die Konservativen den Ton angeben und keineswegs primär eine Wirtschaftsphilosophie im Sinn haben.
Die beiden politischen Lebewesen, das insulare und das kontinentale, sie sind beide „ok”, aber nicht vermischbar. Sowenig wie der Utilitarismus und der Geist von Potsdam, sowenig wie Blutgruppe A und B. Sie können koexistieren, sie können auch kooperieren. Aber man kann sie auf gar keinen Fall ineinanderkippen.
Die Verklumpung, und es gab sie in der AfD, sie ist erst durch den Abgang der geistig Fremdloyalen geheilt worden.
Die jetzige AfD-Führung wurde, das ist der entscheidende Punkt, nicht für und nicht mit, sondern eindeutig gegen das innere England an die Parteispitze gewählt. Das hatte eine große Bedeutung: Erst mit diesem Schritt wurde die AfD zur brauchbaren Partei für die allgemeinen deutschen Angelegenheiten außerhalb der EURO-Frage.
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Wenn Sie das schlimmste Gift suchen, das Sie dem konservativ-sozialistischen (kooperativen) Kristall, wie er hinter der AfD steht, nebst seinem akzeptablen halbwegs schwarzrotgolden-liberalen Beiboot injizieren können, dann finden Sie es in Vertretern und Denkmustern oder auch nur Images der insularen Staats- und Wirtschaftsphilosophie.
Hieraus entstand die Verwunderung, die heutige, in ihren geistigen Grundlagen ja nun einigermaßen landeskulturkompatibel dastehende AfD in der Nähe des Wortes „Tories” zu lesen.
In einer Hinsicht war die Anmerkung weniger feinsinnig, als Sie vermuteten. Es ging mir nicht um Tories im Sinne von Tories und Whigs. Da hätte auch LibDems stehen können – oder Alfa. Ganz egal. Der Punkt ist: Es hätte mit Blick auf das, was die AfD ist, in jedem Fall wie „Glück und Blubb” geklungen.
Jedes Milligramm aus dem Geist von Lucke und Henkel und deren „Helden” wirkt für die AfD wie ein schweres Senkblei in Richtung politischem Nirwana. Es gibt in der AfD starke sozialistische Instinkte und starke konservative. Es gibt auch starke liberale, aber nicht im Sinne der Ausbeutung Schottlands, sondern allein schwarzrotgoldene.
Man tut der AfD-Führung vor diesem Hintergrund keinen Gefallen, wenn man sie auch nur hauchweise aus einer freundlichen Laune heraus finanznadelstreifeninsular affiziert.
Die Konservativen gehen dann auf die Barrikaden, weil es kulturunstimmig ist und den deutschen Geist mit Buchhalterhorizonten zu überlagern droht; die Sozialisten, weil es asozial und der Staat für sie kein materialistischer Transmissionsriemen ist.
Wenn Sie gefragt wurden, ob Sie die „kleinen Leute” zur Linkspartei zurückbringen wollen, so kann die AfD das tatsächlich nur vermeiden, wenn sie Sozialpolitik betreibt, nicht indem sie Sozialpolitik unterminiert (ein Tory-Hobby übrigens).
Eine gesellschaftspolitisch reaktionäre Politik (für Gott und gegen Gender etc.) kann die deutsche Rechte überhaupt nur machen, wenn sie diese mit einer progressiven Sozialpolitik verbindet. „Der kleine Mann” ist (außer er ist charakterlich minderwertig und bolschewistisch verdorben, was aber selten ist) eben nicht der Feind des Rechten, sondern sein natürlicher Verbündeter. Die SPD bekommt das gerade sehr schmerzlich zu spüren. ER, der kleine Mann, bringt die Manpower an die Wahlurne. Beider Gegner ist, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – Weltanschauung und Überleben – der Homo Oeconomicus, der kategorienreduzierte Wirtschaftsegoist.
Die „Wirtschaftsinnenpolitik” angelsächsischer Länder ist ein Kampf oben gegen unten. DAS auch nur ansatzweise in eine deutsche Rechtspartei getragen und der Laden zerspringt im Klassenkampf in alle Richtungen. Es ist unschwer vorstellbar, wie die AfD in Richtung FDP und in Richtung Linkspartei auseinanderfliegt. Und weil das so leicht ist, muss man sie von allem freihalten, was auch nur ansatzweise dazu beitragen kann, den Bund (…) zu sprengen. Eine solche Partei mag ein paar kompatible (eigene) Liberale vertragen und braucht sie auch für bestimmte Ressorts, will sie regieren. Aber wenn sie es nicht schafft, sich von den geistigen Niederungen ihrer Feinde frei zu halten, fliegt ihr der Laden irgendwann um die Ohren.
Es ist nicht Ihr Vorhaben, ich weiß es. Aber Sie können entlang von E‑Mails wie dieser hier, die ja von kaum mehr als Nichts ausgelöst werden, ermessen, was für ein Krater voller Pfähle sich auftut, wenn man von der integrativen und ideellen kontinentalen Linie abrückt.
Das Summen der Marseillaise im spanischen Wahlkampf ist eine Kleinigkeit verglichen mit der Projektion der Politik einer deutschen Volkspartei auf die politische Kultur der Insel.
Ihrem Nachtrag nach zu Urteilen war ich ja auch nicht die einzige „Beschwerde”…
Vielleicht pusten Sie an einem Mußetag mit Blick auf den „Massenkristall” einmal den Staub von Spenglers ‚Preußentum und Sozialismus’. Der beschrieb es auch ganz gut, etwas „fritzischer” als in der hier gestreiften schwarzrotgoldenen Linie, weiter im Blick, ist dafür freilich nur mit Verdünnungsfaktor zehn hinsichtlich der Schlußfolgerungen zu gebrauchen. Den Parlamentarismus als materialistische Volksverratsorganisation angreifen wie die Konservative Revolution ist natürlich Unfug, weil dann der Rechtsstaat verschwindet.
Aber innerhalb erneuerter Parlamente in Deutschland auch einmal nicht bloß gescheite, sondern geistig relevante Debatten oberhalb der Materialistenhorizonte von FDP und Linkspartei zu führen – DAS wäre phantastisch und ist a.m.S. eine sehr wesentliche Aufgabe und ein Potenzial der AfD.
So, nun tauche ich wieder ein in mein stilles Dasein, das dem Linken als das eines Snobs erscheint, dem Liberalen als das eines Taugenichts und dem Rechten als das eines (kleinen) Privatgelehrten. Hier habe ich ich allerdings tatsächlich ein wenig die Pflicht empfunden, zur minenfeldmaximalentfernten Positionierung der größten politischen Begabung in Deutschland mein bescheiden Scherflein beizutragen, und hoffe auch dann auf Ihr Verständnis, wenn dies gar nicht nötig war.
Eine gute Zeit und Gottes Segen wünscht Ihnen und ihr
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