Die helle Seite des Islam

Ist er gut oder böse? Kann er hier­her­ge­hö­ren oder nicht? Für Zig­tau­sen­de Mus­li­me bedeu­tet Allah Frie­den und Deutsch­land Hei­mat. Sechs Bei­spie­le

Nachträgliche Vorbemerkung: Den folgenden Artikel habe ich weder zur Korrektur der Focus-Titelgeschichte „Die dunkle Seite des Islam” geschrieben noch als „PR-Gag”, wie im Netz zu lesen, noch um etwas gutzumachen oder mich gar irgendwem anzudienen. Ich habe ihn geschrieben, weil es eben beide Seiten gibt. („Jetzt”, sagte ich einem muslimischen Bekannten, „sind wir quitt.”) Möge Allah mit der bescheidenen Unterstützung aller Menschen guten Willens entscheiden, welche Seite die Oberhand gewinnt. 
 

Und jetzt der Artikel:

Vor einem knap­pen Jahr ver­öf­fent­lich­te FOCUS die Titel­ge­schich­te „Die dunk­le Sei­te des Islam“. Nun begab sich FOCUS-Autor Micha­el Klo­novs­ky auf die Suche nach der ande­ren Sei­te. Die Mus­li­me, mit denen er sich traf, beten fünf­mal am Tag, fas­ten im Rama­dan, hal­ten sich an die Gebo­te (kei­ner trank Alko­hol) und run­zel­ten die Stirn bei der Fra­ge, was wäre, wenn ihre Kin­der einen Nicht­mus­lim hei­ra­ten woll­ten. Hören wir ihnen zu:

Der Intel­lek­tu­el­le

„Ein ‚libe­ra­ler‘ Islam? Was soll das sein? Ich kann nicht libe­ral beten“, sagt Eren Güver­cin. Man möge nicht ver­mi­schen, was nicht zusam­men­ge­hö­re. Der Köl­ner, 1980 als Sohn tür­ki­scher Eltern gebo­ren, arbei­tet als frei­er Jour­na­list und ist Autor des Buches „Neo-Mos­lems. Por­trät einer deut­schen Gene­ra­ti­on“. Was das ist? „Sie sehen sich in ers­ter Linie als Deut­sche, machen aber kei­nen Hehl dar­aus, Mus­li­me zu sein.“ 

Güver­cin, der Goe­the und Ernst Jün­ger liest, ist habi­tu­ell ein typi­scher euro­päi­scher Intel­lek­tu­el­ler, der eben­so in einem Pari­ser Café über Camus spre­chen könn­te, wie er jetzt bei einem Köl­ner Ita­lie­ner über den Islam spricht. „Man soll kul­tu­rel­le Iden­ti­tä­ten nicht reli­gi­ös erklä­ren oder begrün­den“, sagt er. Tür­kei sei nicht gleich Islam. „Tür­ken sind Tür­ken. Und wie es spe­zi­el­le Aus­prä­gun­gen des Islam gibt, kann es auch eine deut­sche Ver­si­on geben.“ 

In der Ein­wan­de­rungs­fra­ge besteht für Güver­cin ein Haupt­pro­blem dar­in, „dass eine nüch­ter­ne Debat­te fast unmög­lich ist“. Für ech­te Flücht­lin­ge soll­te Deutsch­land Ver­ant­wor­tung über­neh­men. „Aber man muss die Mul­ti-Kul­ti-Roman­tik in Fra­ge stel­len dür­fen, ohne sofort regel­recht für vogel­frei erklärt zu werden.“ 

Den Isla­mis­mus nennt Güver­cin „eine kran­ke Misch­form aus west­lich-poli­ti­schem Den­ken und Islam“. Er beruft sich auf den Islam­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Bau­er, der in sei­nem Buch „Die Kul­tur der Ambi­gui­tät“ demons­triert, wie die zuneh­men­de Ideo­lo­gi­sie­rung des Islam im 19. und 20. Jahr­hun­dert zu einem Nach­las­sen der mus­li­mi­schen Tole­ranz gegen Anders­gläu­bi­ge geführt habe. 

Das Got­tes­bar­ba­ren­tum des IS sei kei­nes­wegs ein mit­tel­al­ter­li­ches Phä­no­men, son­dern im Gegen­teil ein moder­nes, denn die tra­di­tio­nel­len isla­mi­schen Rechts­schu­len hät­ten die rigi­de Tei­lung der Welt in wahr und falsch nicht gekannt, sta­tu­iert Güver­cin. Ver­schwun­den sei lei­der die alt­ori­en­ta­li­sche Nei­gung zur Mehr­deu­tig­keit. Auch die sala­fis­ti­sche Vor­stel­lung, dass am Koran nichts zu inter­pre­tie­ren sei, ent­stam­me der jün­ge­ren Gegen­wart. „Ohne Kom­men­tar ist der Koran nicht zu ver­ste­hen“, erklärt Güver­cin. Die Vor­den­ker der Dschi­ha­dis­ten bedien­ten sich aus der Schrift „wie aus einem Werk­zeug­kas­ten“. Auch die Islam­kri­ti­ker zögen sich her­aus, was ihnen gera­de pas­se – „da sind sie den Sala­fis­ten erstaun­lich ähnlich“. 

Güver­cin strei­tet für die Unver­füg­bar­keit sei­ner Reli­gi­on, wer auch immer sich anmaßt, über den Glau­ben bestim­men zu wol­len. Über die von Sau­di-Ara­bi­en finan­zier­te König-Fahd-Aka­de­mie in Bonn sag­te er: „War­um unter­bin­det das der deut­sche Staat nicht? Da wer­den Leu­te radi­ka­li­siert.“ Aber wenn die CDU ein The­sen­pa­pier zum Islam vor­legt, ist ihm das ähn­lich suspekt: „Was geht sie das an? Das Schlimms­te wäre ein offi­zi­el­ler Staats-Islam mit Kir­chen­steu­er. So etwas hat es im Islam nie gege­ben.“ Über­haupt ärge­ren ihn die sich aus­brei­ten­de „Gesin­nungs­schnüf­fe­lei“ und der „Wer­te­zwang“. „Man ist dau­ernd mit irgend­wel­chen Gesin­nungs­test­fra­gen kon­fron­tiert, etwa wie man zur Homo­se­xua­li­tät steht.“ 

Die obli­ga­te Fra­ge, was er davon hiel­te, wenn sei­ne (noch nicht vor­han­de­nen) Kin­der einen Nicht­mus­lim hei­ra­ten wür­den, beant­wor­tet Güver­cin am lockers­ten: „Am bes­ten, sie hei­ra­ten jeman­den, den sie lie­ben. Mus­lim kann er ja immer noch werden.“

Die Theo­lo­gin

Unter dem Kopf­tuch trägt Tuba Isik Ohr­ste­cker, als sie auf ihr Pader­bor­ner Lieb­lings­re­stau­rant, eine fran­zö­si­sche Bras­se­rie, zustrebt. Was für Musik sie hört? „Och, alles quer­beet, jüdi­sche Musik, ara­bi­sche, tür­ki­sche, auch Pop oder moder­ne Klas­sik.“ Spä­ter wird sie beim Gespräch über Koran-Exege­se auf das The­ma zurück­kom­men. Für Streng­gläu­bi­ge ist Musik näm­lich „haram“, ver­bo­ten. „Man muss immer ana­ly­sie­ren, in wel­chem Kon­text Koran-Aus­sa­gen ste­hen. Zur Zeit des Pro­phe­ten war Musik ver­bun­den mit Freu­den­häu­sern. War­um aber soll­te Musik ver­bo­ten sein, wenn sie zum Bei­spiel den geseg­ne­ten Frei­tag preist?“

Tuba Isik – ihr Vor­na­me bedeu­tet auf Ara­bisch so viel wie Glück­se­lig­keit – stu­dier­te Päd­ago­gik, Rechts­wis­sen­schaf­ten und isla­mi­sches Recht und pro­mo­vier­te an der Uni Pader­born in Kom­pa­ra­ti­ver Theo­lo­gie über „Muham­mad als Gesand­ter Got­tes im isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt“. Sie habe sich wäh­rend ihres Pro­mo­ti­ons­stu­di­ums viel mit dem Katho­li­zis­mus beschäf­tigt, sagt die Toch­ter eines tür­ki­schen Theo­lo­gen, die in Mainz zur Welt kam. „Mein Got­tes­bild hat sich wei­ter­ent­wi­ckelt im Dia­log mit dem christ­li­chen, der erbar­men­de Gott ist dabei in den Vor­der­grund getre­ten. Mein Gott ist ein freund­li­cher Gott, kein Rech­ner­gott.“ Und der Pro­phet ihrer Dok­tor­ar­beit sei ein „nüch­ter­ner, geer­de­ter Mann“, kein Wundertäter. 

„Reli­gi­on soll­te befrei­en“, sagt die jun­ge Frau mit den vor Gescheit­heit blit­zen­den Augen. Es sei „Migran­ten­den­ken“, sich abzu­kap­seln. Mus­li­me soll­ten offe­ner wer­den für die wech­sel­sei­ti­ge Ver­bun­den­heit der Reli­gio­nen, sie soll­ten sel­ber theo­lo­gi­sche Tex­te lesen, nicht nur auf Ima­me und You­Tube-Pre­di­ger hören. „Es geht dar­um, im Umgang mit Nicht-Mus­li­men ein gesun­des, tole­ran­tes Das-bin-ich-nicht zu ent­wi­ckeln und Deutsch­sein als das Ver­bin­den­de zu erken­nen. Ich will, dass wir eine Syn­the­se aus dem Kul­tu­rel­len und dem Reli­giö­sen schaf­fen und mit gutem Gewis­sen einen deut­schen Islam leben.“

Das Leben mit Kopf­tuch kann hier­zu­lan­de gleich­wohl recht anstren­gend sein. Nach dem 11. Sep­tem­ber, erzählt Tuba Isik, habe sie ein Mann auf offe­ner Stra­ße ange­schrien: „Euch soll­te man alle ver­ga­sen, den gan­zen Iran und Sau­di-Ara­bi­en!“ Da ihr nichts ande­res ein­ge­fal­len sei, habe sie ihn mit den Wor­ten „Wis­sen Sie was: Sie haben Recht!“ zum ver­blüff­ten Schwei­gen gebracht.

Als ihren deut­schen Lieb­lings­au­tor nennt Isik Theo­dor Fon­ta­ne. Bevor sie nach Pader­born umsie­del­te, hat sie drei Jah­re in Dort­mund gelebt, „aber ich war schon vor­her für den BVB“. Ohne das Kopf­tuch, sagt sie, „bin ich 08/15. Sie hät­ten gar nicht mit mir reden wol­len.“ Womit sie, zuletzt, denn doch ziem­lich danebenliegt. 

Der Jour­na­list

Tahir Chaudhry, 25, betreibt seit zwei Jah­ren ein jour­na­lis­ti­sches Online-Por­tal namens „Das Milieu“, wo kei­nes­wegs nur Isl­am­the­men behan­delt wer­den. Die Lis­te der Inter­view­part­ner reicht von Diet­her Dehm über Thi­lo Sar­ra­zin bis zum Ver­fas­ser die­ser Zeilen. 

Chaudhrys Fami­lie, mus­li­mi­sche Ein­wan­de­rer aus Indi­en, lebt in einem Dorf bei Schles­wig. Er stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Islam­wis­sen­schaf­ten in Kiel und ist Mit­glied der Ahma­di­y­ya Mus­lim Jamaat, deren Anhän­ger in der mus­li­mi­schen Welt vie­ler­orts als Abtrün­ni­ge gel­ten. Die Ahma­diy-ya strebt die isla­mi­sche Welt­mis­si­on an, aller­dings mit aus­schließ­lich fried­li­chen Mit­teln. „Wenn wir den Zustand, in dem sich der Islam der­zeit befin­det, glo­bal ver­brei­te­ten, wäre das kei­ne schö­ne Welt“, räumt Chaudhry ein. „Solan­ge die spi­ri­tu­el­le Dimen­si­on hin­ter der Poli­tik ver­schwin­det, wün­sche ich mir kei­ne mus­li­mi­sche Mehrheit.“

Dass Mus­li­me in den Medi­en oder in Talk­shows stets in das­sel­be enge The­men­spek­trum gepresst wer­den – Ein­wan­de­rung, Inte­gra­ti­on, Islam –, stört Chaudhry enorm. „War­um fragt man uns nie zur Bil­dungs­po­li­tik, zur Homo-Ehe, zur Außenpolitik?“ 

Ein kon­ser­va­ti­ver Mus­lim, führt Chaudhry aus, lege Wert auf mora­li­sche Erzie­hung. Das Ver­hält­nis der Geschlech­ter soll nicht auf Sex gegrün­det sein – man sehe ja über­all, wie sexu­el­le Frei­zü­gig­keit Fami­li­en zer­stö­re. Man müs­se eben nicht alles aus­pro­bie­ren. Das Kopf­tuch gehö­re zu den „Vor­keh­run­gen für reiz­freie Räu­me“, die der Islam schaf­fe, „damit sich die Geschlech­ter wür­de­voll auf Augen­hö­he begeg­nen kön­nen“. Die Bur­ka indes sei „unis­la­misch“.

Wie anstän­di­ger Jour­na­lis­mus funk­tio­niert, erfuhr er als schrei­ben­der Hos­pi­tant in der Online-Redak­ti­on einer gro­ßen links­li­be­ra­len Zei­tung: In sei­nem Inter­view mit dem Ober­haupt der Ahma­di­y­ya wur­den skep­ti­sche Aus­sa­gen des Got­tes­man­nes zum Kli­ma­wan­del kur­zer­hand gestrichen. 

Auf dem Höhe­punkt der Pegi­da-Demons­tra­tio­nen schlug Chaudhry mit drei ande­ren Ahma­dis einen mus­li­mi­schen Infor­ma­ti­ons­stand in Dres­den auf. „Ich fin­de die Dämo­ni­sie­rung der Pegi­da-Leu­te schwach­sin­nig“, sagt er. „Man kann mit denen reden, ich habe mich sogar mit eini­gen ange­freun­det.“ Ein ander­mal habe er den AfD-Grün­der Bernd Lucke am Ber­li­ner Flug­ha­fen gese­hen, von den Mit­pas­sa­gie­ren sicht­lich gemie­den, da habe er ihn ange­spro­chen und ihm gesagt, er möge die Mus­li­me mehr ein­be­zie­hen. „Der kon­ser­va­ti­ve Mus­lim kann in gesell­schafts­po­li­ti­scher und mora­li­scher Hin­sicht nichts ande­res wäh­len als CSU oder AfD. Und aus außen­po­li­ti­scher und wirt­schafts­po­li­ti­scher Sicht Die Linke.“

Und wo liegt bei ihm daheim der Koran? „An einem erhöh­ten Platz. Übri­gens unweit der Bibel.“

Der Jurist

„Nein, Sie dür­fen nicht zah­len“, sagt der Kell­ner und hält Aus­schau nach dem­je­ni­gen, dem die­se Pflicht offen­bar obliegt. „Der Gast darf nicht zah­len.“ Es dau­ert eine Wei­le, bis der Mann akzep­tiert, dass Engin Kara­han heu­te der Gast war. Die Sze­ne spielt im „Kilim“, einem Lokal mit schmack­haf­ter ori­en­ta­li­scher Küche in der Köl­ner Keup­stra­ße (Wein gibt es hier lei­der nicht).

Kara­han ist Deutsch-Tür­ke, was für ihn kon­kret heißt: „Schrei­ben auf Deutsch, Stoß­ge­be­te auf Tür­kisch.“ Sein Vater war Schwei­ßer, der Sohn hat Jura stu­diert. Er ging in Lud­wigs­ha­fen auf das­sel­be Gym­na­si­um wie Hel­mut Kohl. Im Deutsch­un­ter­richt rezi­tier­te er Uhlands Kreuz­zugs­bal­la­de „Schwä­bi­sche Kun­de“ vor der Klas­se („Zur Rech­ten sieht man wie zur Linken,/einen hal­ben Tür­ken her­un­ter­sin­ken“), ohne sich viel dabei zu denken.

Kara­han ist ein stol­zer Mann mit einem hin­ter­sin­ni­gen Lächeln. Am Gym­na­si­um habe man ihn wegen sei­nes Lernehr­gei­zes „Lexi­kon“ genannt, erzählt er. An der Uni woll­te er es den Kom­mi­li­to­nen aus Juris­ten­fa­mi­li­en zei­gen, die am Früh­stücks­tisch mit ihren Vätern die aktu­ells­ten Urtei­le durch­spre­chen konn­ten. Heu­te arbei­tet der 36-Jäh­ri­ge als frei­be­ruf­li­cher juris­ti­scher Bera­ter und Ver­mitt­ler zwi­schen mus­li­mi­schen Gemein­den und deut­schen Behör­den. Er ist Mit­glied der isla­mi­schen Gemein­schaft Mil­li Görus, in deren Euro­pa­zen­tra­le er bis vor Kur­zem als stell­ver­tre­ten­der Gene­ral­se­kre­tär fun­gier­te – und bei den Grü­nen. Wie kommt ein from­mer Mus­lim mit dem Fami­li­en­bild die­ser Par­tei klar? „Man muss nicht alles gut­hei­ßen, was im Pro­gramm steht.“ Er hat drei Kin­der, sei­ne Frau betreut sie daheim. „Ich kann mich mit dem Gedan­ken, win­del­tra­gen­de Kin­der in frem­de Obhut zu geben, nicht anfreunden.“

Apro­pos Kin­der: Als Pro NRW im Wahl­kampf Pla­ka­te auf­häng­te, auf denen eine durch­ge­stri­che­ne Moschee abge­bil­det war, habe ihn die ältes­te Toch­ter gefragt: „Papa, war­um wol­len die unse­re Moschee kaputt machen? Has­sen die Mus­li­me?“ Die Vor­stel­lung, dass Mus­li­me den Wes­ten über den Kreiß­saal erobern, hält er für alar­mis­tisch: „Mit drei Kin­dern bin ich in mei­nen Krei­sen schon ein Exot.“ Die meis­ten Mus­li­me pass­ten sich den deut­schen Gepflo­gen­hei­ten an. Alle Bekann­ten, die in die Tür­kei gegan­gen waren, sei­en wie­der nach Deutsch­land zurück­ge­kehrt. „Am längs­ten hat es einer drei Jah­re ausgehalten.“ 

Kara­han nimmt den Gast am nächs­ten Tag zum Mit­tags­ge­bet mit. Er ist ein biss­chen trau­rig über den ästhe­ti­schen Zustand vie­ler Moscheen, aber er rühmt die­je­ni­gen, die ehren­amt­lich und mit wenig Geld die­se reli­giö­sen Stät­ten errich­tet haben. 

Was zeich­net einen guten Mus­lim aus? „Sei­ner Umwelt nicht scha­den, sei­ne Erfül­lung auch im Dienst an den Men­schen sehen. Fünf­mal beten, aber als Unter­neh­mer die Ange­stell­ten schlecht behan­deln ist nicht isla­misch.“ Ist es isla­misch, über Moham­med-Kari­ka­tu­ren empört zu sein? „Das nervt mich!“, stoß­seufzt Kara­han (auf Deutsch). „Sind wir Mus­li­me wirk­lich so mani­pu­lier­bar und las­sen uns der­ma­ßen leicht pro­vo­zie­ren? Gera­de im Wis­sen über die Erha­ben­heit Got­tes soll­ten wir dar­über hinwegsehen.“

Der Betriebs­wirt

„Wie kön­nen Leu­te behaup­ten, der Islam gehö­re nicht hier­her?“, sagt Achim Seger, 23, und nimmt einen Schluck von sei­nem Früch­te-Cock­tail. „Wir haben doch Reli­gi­ons­frei­heit. Aber wenn wir uns inte­grie­ren, heißt es Isla­mi­sie­rung. Was sol­len wir denn tun?“

Der Vater von Seger ist Ägyp­ter, die Mut­ter Deut­sche, aber Mus­li­ma. Sei­ne Eltern lern­ten sich in einer Moschee ken­nen. Er selbst, erzählt der Münch­ner, habe über­wie­gend mit Nicht­mus­li­men zu tun, auch die Halb­ge­schwis­ter beten nicht zu Allah. Frei­wil­lig­keit ist der Dreh- und Angel­punkt sei­nes Welt­bil­des, ob nun in welt­li­chen oder reli­giö­sen Fra­gen. Es soll kein Zwang im Glau­ben sein, steht im Koran, und das nimmt er wört­lich. „Wir Mus­li­me wol­len einladen.“ 

Seger ist Diplom-Betriebs­wirt, sei­ne Abschluss­ar­beit trägt den Titel „Das isla­mi­sche Riba-Ver­bot im Span­nungs­feld der moder­nen Geld­wirt­schaft“ (Riba bedeu­tet Zins). Es han­delt sich um eine hef­ti­ge Kri­tik am der­zei­ti­gen Staats­geld­sys­tem, zu sei­nen Kron­zeu­gen gehört die liber­tä­re „öster­rei­chi­sche Schu­le“ um Den­ker wie August von Hay­ek und Lud­wig von Mises. Wie der Islam, so Seger, gin­gen die­se Män­ner davon aus, „dass das Geld­sys­tem auch eine spi­ri­tu­el­le Ebe­ne hat“. Anders gesagt: „Geld­ent­wer­tung bringt auch einen mora­li­schen Ver­fall mit sich.“ Wirt­schaft ohne Moral füh­re ins Ver­der­ben. Es dür­fe beim Erwä­gen von Alter­na­ti­ven zum der­zei­ti­gen Welt­fi­nanz­sys­tem „kei­ne Denk­ver­bo­te“ geben. Die Arbeit wur­de mit „sehr gut“ bewertet.

Die „kol­lek­ti­ve Ver­teu­fe­lung“ von Mus­li­men, wie sie auf gewis­sen Web-Foren prak­ti­ziert wird,  irri­tiert Seger. „Wohin soll das füh­ren?“ Es herr­sche „Unsi­cher­heit und Ver­wir­rung“. Vie­les von dem, was die Pegi­da-Demons­tran­ten kri­ti­sier­ten, sei berech­tigt, „aber wir soll­ten nach Din­gen suchen, die uns ver­bin­den“. Und was ihn selbst betrifft: „Ich die­ne Allah, und wenn Allah alles ist, kann ich nie­man­dem scha­den dürfen.“

Der Seel­sor­ger

„Islam ist, wie man sich gegen alle Geschöp­fe Got­tes ver­hält.“ Nicht nur gegen­über Mus­li­men? „Auf kei­nen Fall. Der Pro­phet Moham­med sagt, wenn einer satt ein­schläft, wäh­rend der neben ihm hun­gert, dann ist das kein Mus­lim.“ Spricht Cemil Sahinöz. 

Der stu­dier­te Sozio­lo­ge und Psy­cho­lo­ge, der momen­tan an sei­ner Dok­tor­ar­beit schreibt, lebt in Bie­le­feld und will als Pen­dant zur christ­li­chen eine mus­li­mi­sche Seel­sor­ge eta­blie­ren. Für jeder­mann. „Ich rede auch mit Sala­fis­ten oder Neonazis.“ 

Sahi­nöz ist ein hei­te­rer Mensch, für den die For­mu­lie­rung geschaf­fen scheint, jemand gehe hell­wach durchs Leben. Wäh­rend er sei­nen Gast zum ange­sag­tes­ten Bie­le­fel­der Kebab-Lokal führt, ver­ein­bart er am Tele­fon einen The­ra­pie­ter­min mit einem Spiel­süch­ti­gen und macht in einem Gebets­raum Halt, um sein Nach­mit­tags­ge­bet zu ver­rich­ten. Er woh­ne mit sei­ner Fami­lie übri­gens direkt neben einer Kir­che, erzählt er. Das älte­re sei­ner bei­den Kin­der, einen Jun­gen, hat er Ensar genannt, das ist Ara­bisch und bedeu­tet so viel wie: der Einheimische. 

Wie erzieht ein Fami­li­en­be­ra­ter sei­ne Kin­der zum Islam? „Der Glau­be muss aus dem Her­zen kom­men. Ob Kopf­tuch, Gebet oder Fas­ten: Man soll Kin­dern nichts vor­schrei­ben.“ Steht das Kopf­tuch eher für Sit­te oder eher für Reli­gi­on? „Ganz klar für Reli­gi­on.“ Wie wür­de er reagie­ren, wenn sei­ne Kin­der spä­ter einen Nicht­mus­lim hei­ra­ten oder Athe­is­ten wer­den? „Jeder trifft sei­ne Ent­schei­dun­gen selbst. Der Pro­phet sagt: Wenn dei­ne Eltern Athe­is­ten sind, dann fol­ge ihnen in allen ande­ren Dingen.“

Zum Beginn des Fas­ten­mo­nats Rama­dan tref­fe man sich tra­di­tio­nell beim ältes­ten Mit­glied der Fami­lie, erklärt der 34-Jäh­ri­ge. In sei­nem Fall ist es die Groß­mutter, und unge­fähr 30 Leu­te ver­sam­meln sich bei ihr, eine für Bio-Deut­sche kaum mehr vor­stell­ba­re Zahl von Ange­hö­ri­gen. Als Fami­li­en­fest ist Rama­dan so etwas wie das Gegen­stück zu Weih­nach­ten. Zum Christ­fest, erzählt Sahi­nöz, beschen­ke er sei­ne deut­schen Freun­de, für ihn selbst sei es aber kein Fei­er­tag. „Jede Reli­gi­on fei­ert ihre Fes­te. Alles ande­re wäre Selbstverleugnung.“ 

Als Sozi­al­psy­cho­lo­ge kennt Sahi­nöz die Pro­ble­me der Mus­li­me mit der Mehr­heits­ge­sell­schaft, aber auch die Angst vie­ler Bio-Deut­scher vor Gewalt­tä­tern mus­li­mi­scher Abkunft. „Vor denen habe ich auch Angst“, sagt er. „Aber es ist nicht der Islam, der sie zu Gewalt­tä­tern macht.“ Das wohl nicht, aber ver­läuft die Kon­flikt-linie nicht zwi­schen mus­li­misch und nicht­mus­li­misch, zwi­schen rein und unrein? „Die Her­zen kennt nur Allah. Wie kann da jemand ent­schei­den wol­len, wer rein und wer unrein ist?“

Beim Abschied fragt Sahi­nöz: „Was mei­nen Sie, wie wird die Zukunft hier?“ – „Die opti­mis­ti­sche oder die pes­si­mis­ti­sche Ant­wort?“ – „Die opti­mis­ti­sche“, ver­setzt Sahi­nöz. „Wir müs­sen das doch zusam­men hin­be­kom­men, nicht wahr?“

Erschie­nen in Focus 39/2015, S. 52–58

Vorheriger Beitrag

Christian Gerhaher: Die Kunst des Liedes

Nächster Beitrag

Franz Schubert: Die Winterreise

Ebenfalls lesenswert

Sünderin sowieso

Nach ihrem Raus­schmiss bei „Ker­ner“ befin­det sich Eva Her­man auf dem Weg zur Unper­son. Der media­le Umgang mit…

Pfui aufs Einstecktuch!

Lite­ra­tur­kri­tik als Gesin­nungs­mob­bing: Sig­rid Löff­ler will nicht, dass Mar­tin Mose­bach den Büch­nerpreis bekommt