Mozart: Requiem

Von Fried­rich Heb­bel stammt die Fest­stel­lung, man kön­ne eben­so­we­nig dort wei­ter­dich­ten, wo ein ande­rer auf­ge­hört habe, wie man wei­ter­träu­men kön­ne, was ein ande­rer geträumt habe. Ganz beson­ders unmög­lich wird die Ange­le­gen­heit, wenn der ande­re Mozart heißt. Des­sen Schü­ler und wohl auch täti­ger Wit­wen­trös­ter Franz Xaver Süß­mayr sah sich nach dem Tod des Kom­po­nis­ten vor die undank­ba­re Auf­ga­be gestellt, das als Frag­ment hin­ter­las­se­ne „Requi­em“ zu voll­enden. Süß­mayr wuss­te recht gut, auf wel­ches „kom­pro­mit­tie­ren­de“ (so er selbst in einem Brief) Unter­fan­gen er sich da ein­ließ, aber Con­stan­ze Mozart dürf­te ihn nach­drück­lich dazu gedrängt haben, um vom Auf­trag­ge­ber des Stücks, dem Gra­fen Franz von Wal­segg, die zwei­te Hälf­te des Hono­rars ein­zu­strei­chen. Süß­mayr war nicht der ein­zi­ge, der sich an der Kom­plet­tie­rung der Toten­mes­se zu schaf­fen mach­te, und da das Publi­kum Frag­men­te bekannt­lich nicht mag, muss man aller Ergän­zer Wir­ken letzt­lich als hilf­reich bezeich­nen, auch wenn die Brü­che in die­sem Werk offen zuta­ge lie­gen. Mozarts Opus pos­tu­mum zer­fällt in zwei Tei­le: auf der einen Sei­te der erschüt­ternds­te Auf­tritt des Todes in der gesam­ten Musik­ge­schich­te (Requi­em aeter­nam, Con­fu­ta­tis, Rex tre­men­dae, Lacri­mo­sa), auf der ande­ren soli­de, aber etwas unin­spi­rier­te geist­li­che Musik (Sanc­tus, Bene­dic­tus, Agnus dei und das Com­mu­nio-Fina­le, wo Süß­mayr ein­fach Tei­le des Anfangs wiederholt). 

Gleich der Intro­itus stellt den Hörer vor die uner­bitt­li­che Majes­tät des Ver­nich­ters. Die­se Musik ist von starr machen­der Hoff­nungs­lo­sig­keit, sie hüllt den Hörer in ein Lei­chen­tuch – das Stun­den­glas ist aus­ge­ron­nen. Der düs­te­re Ernst hat auch mit der selt­sa­men Instru­men­tie­rung zu tun, die ent­we­der der Unvoll­endung oder Mozarts anar­chi­schem Genie geschul­det ist: Flö­ten, Obo­en (und Hör­ner) feh­len, das Holz setzt sich zusam­men aus zwei Basett­hör­nern, die dunk­ler als Kla­ri­net­ten klin­gen, sowie zwei Fagot­ten. Das ergibt ein Klang­bild, in wel­ches sozu­sa­gen kein Licht von oben hin­ein­strahlt. Mar­tin Geck hat dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Intro­itus den Ein­gangs­chor aus Hän­dels „Fun­e­ral Anthem for Queen Caro­li­ne“ zitiert, die Ähn­lich­kei­ten sind in der Tat ver­blüf­fend, doch der Abstand von Hän­dels Trau­er zu Mozarts exis­ten­ti­el­lem Ent­set­zen ist unermesslich. 

Mozart: Requi­em; Juri­nac, West, Loeff­ler, Gut­hrie; Wie­ner Aka­de­mi­scher Kam­mer­chor, Orches­ter der Wie­ner Staats­oper; Her­mann Scher­chen (West­mins­ter)

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Novem­ber 2014

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