Maurice Ravel: Klavierkonzert für die linke Hand

Der rus­si­sche Pia­nist Andrej Gawri­low bezeich­ne­te Ravels Kon­zert für die lin­ke Hand als „das bes­te Kon­zert für Kla­vier und Orches­ter, das in der Spra­che des frü­hen 20. Jahr­hun­derts ver­fasst wur­de“. Das nur aus einem Satz bestehen­de Opus steht ers­tens in D‑Dur und zwei­tens zu Unrecht im Schat­ten der berühm­te­ren, regu­lär drei­sät­zi­gen Schwes­ter in G‑Dur. Ravel schrieb es für den ein­hän­di­gen Pia­nis­ten Paul Witt­gen­stein (1887–1961). Der aus einer der reichs­ten Fami­li­en Öster­reichs stam­men­de Vir­tuo­se, Bru­der des Phi­lo­so­phen Lud­wig Witt­gen­stein, hat­te im ers­ten Welt­krieg sei­nen rech­ten Arm ver­lo­ren und ver­gab an die berühm­tes­ten Kom­po­nis­ten Euro­pas Auf­trä­ge für links­hän­di­ge Kla­vier­wer­ke, unter ande­rem eben an Ravel. Witt­gen­stein war auch der Solist der Urauf­füh­rung 1932. Er hat­te erheb­li­che Pro­ble­me mit den tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten des Wer­kes (man kann ihn auf CD oder You­tube hören) und moch­te es nicht. 

Rein tech­nisch gese­hen stand Ravel bei der Kom­pos­ti­on vor dem Pro­blem, eine Pia­nis­ten­hand wie zwei klin­gen zu las­sen. Das gelang ihm über­zeu­gend: An schie­rer pia­nis­ti­scher Klang­fül­le ist das Werk jedem „nor­ma­len“ Kla­vier­kon­zert eben­bür­tig. Gleich­wohl nimmt das Orches­ter hier einen dem Solo­in­stru­ment min­des­tens eben­bür­ti­gen Raum ein. Zwi­schen Kla­vier und Orches­ter exis­tiert dabei eine gewis­se Kluft: Wäh­rend dem Solis­ten auch durch­aus hei­te­re Pas­sa­gen zufal­len, agiert das Orches­ter meist düs­ter und wild. Viel­leicht woll­te Ravel das sub­jek­ti­ve Glück wie­der­erlang­ter Kla­vier­spiel­fä­hig­keit der objek­ti­ven Zer­ris­sen­heit einer Epo­che zwi­schen zwei Welt­krie­gen gegen­über­stel­len? Das Orches­ter spielt ein­deu­tig Groß­stadt­mu­sik, laut, hek­tisch, rhyt­misch, Zeit­phä­no­me­ne wie Kino und Jazz wer­den ver­ar­bei­tet, mili­tä­ri­sche Marsch­mu­sik erklingt. Sowohl der düs­te­re Anfang in Kon­tra­bass und Kon­tra­fa­gott, wor­aus die Eröff­nungs­ka­denz des Kla­viers wächst, als auch das den Solo­part förm­lich zer­mal­men­de Ende ord­nen die­ses Opus unter die eher pes­si­mis­ti­schen Kunst­wer­ke ein.

Mau­rice Ravel: Con­cer­to in D for the left hand; Alb­ora­da gra­cio­so; Rap­so­die espa­gno­le. Leon Fleis­her, pia­no; Bal­ti­more Sym­pho­ny Orches­tra, Ser­giu Comis­sio­na (Van­guard)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Januar/Februar 2013

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