Richard Strauss: Salome

 

Die meis­ten Opern­li­bret­ti sind von erle­se­ner Däm­lich­keit. Kaum irgend­wo scheint sich das mensch­li­che Kitsch- und   Pathos­be­dürf­nis stär­ker aus­ge­tobt zu haben. Es gibt Aus­nah­men, Wag­ners Tex­te etwa, in denen Schwulst und gro­ße Lite­ra­tur Hand in Hand gehen. Richard Strauss besaß in Hugo von Hof­manns­thal den wohl bes­ten Text­dich­ter des gesam­ten Gen­res. Aber auf ein­sa­mer Höhe thront sei­ne „Salo­me”, die bekannt­lich eine gestraff­te Ver­si­on von Oscar Wil­des Thea­ter­stück ist. Wil­de befand sich, wenn die For­mu­lie­rung gestat­tet ist, ober­halb sei­nes eige­nen Niveaus, als er „Salo­me” schrieb. Anders als im Mar­kus­evan­ge­li­um wird die Titel­fi­gur bei ihm zur selb­stän­dig han­deln­den Per­son und ist nicht mehr nur Werk­zeug ihrer Mut­ter. Wil­des Stück ist so abgrund­tief ver­dor­ben, so gran­di­os per­vers, so über­wäl­ti­gend abar­tig, dass man es am bes­ten aus­wen­dig lernt, bevor man sich die Oper anhört. Da Strauss dazu eine kon­ge­nia­le Musik kom­po­nier­te, gehört die­ses Werk zu den fünf, sechs Opern, die ich wohl nie satt bekom­me. Der Kom­po­nist schuf eine mit­ter­näch­ti­ge, schwü­le, poly­to­nal-bedroh­li­che Atmo­sphä­re, die Instru­men­tie­rung oszil­liert zwi­schen deli­kat und bru­tal, das Rie­sen­or­ches­ter zwi­schen Kam­mer­oper und vol­ler Dröhnung.

Wir befin­den uns am Hof des lüs­ter­nen und von den umher­schwir­ren­den prä­christ­li­chen Heils­bot­schaf­ten zutiefst beun­ru­hig­ten Königs Hero­des. Sei­ne Frau Hero­di­as ist eine Hure, ihre Toch­ter lei­det unter des Stief­va­ters per­ma­nen­ter Anma­che. Sämt­li­che Akteu­re sind schwerst­pa­tho­lo­gi­sche Cha­rak­te­re. Da sie sich im Grun­de nicht ver­stän­di­gen kön­nen, sind es die gie­ri­gen Bli­cke, die in die­sem Stück die Haupt­rol­le spie­len. Ein Wahn­sin­ni­ger ist auch der Pro­phet Joch­a­na­an, den Hero­des in der Zis­ter­ne gefan­gen­hält und der in beein­dru­cken­den Gesän­gen aus der Tie­fe die Ankunft des Hei­lands ankün­digt und neben­her Hero­di­as der Unzucht bezich­tigt. Er ist so rein und so anders (und so blick­scheu), dass die kapri­ziö­se Salo­me ihn begehrt, und was sie nicht bekommt, macht sie halt kaputt. „Das ist der Wahn­sinn”, soll Cos­mia Wag­ner über die­se Oper gesagt haben. Absolut.

Richard Strauss: Salo­me; Georg Sol­ti, Wie­ner Phil­har­mo­ni­ker; Bir­git Nils­son, Ger­hard Stol­ze, Eber­hard Wäch­ter u.a. (Dec­ca)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Novem­ber 2011

Vorheriger Beitrag

Chopin: Balladen

Nächster Beitrag

Radu Lupu spielt Schubert

Ebenfalls lesenswert

Chopin: Scherzi

Die vier Scher­zi zäh­len zu den ein­drucks­volls­ten und ver­we­gens­ten Schöp­fun­gen Cho­pins. Der gött­li­che Pole hat die­ses Gen­re zwar…