Peteris Vasks: Pater Noster, Missa, Dona nobis pacem

 

Sebas­ti­an Haff­ner hat am Ende sei­nes Lebens bemerkt, das Wort „inter­es­sant” sei ein schreck­li­ches und gleich­wohl doch das ein­zi­ge Lob, mit wel­chem ein moder­nes Kunst­werk bedacht wer­den kön­ne. Die Musik des let­ti­schen Kom­po­nis­ten Pete­ris Vasks ist kein biss­chen „inter­es­sant” und kann hier also beden­ken­frei emp­foh­len wer­den (ich nähe­re mich der 50 und habe kei­ne Zeit mehr für „inter­es­san­te” Kunst). Vasks steht – wie auch der Este Arvo Pärt und der Geor­gi­er Giya Kan­che­li – für einen Zweig der Neu­en Musik, den es nach den ästhe­ti­schen Vor­ga­ben west­li­cher Kul­tur­vög­te eigent­lich nicht (mehr) geben dürf­te, sprich: für eine Musik, die letzt­lich tonal ist, intel­lek­tua­li­täts­fern, von hei­li­ger Ein­falt und völ­lig „unter­kom­plex”, dafür aber emo­tio­nal anrüh­rend und, trotz aller ihr inne­woh­nen­den Kla­ge und Düs­ter­nis, sogar tröst­lich. Das mag dar­an lie­gen, dass die­se Kom­po­nis­ten, anders als besag­te Kul­tur­vög­te, aus Län­dern stam­men, die den Sowjet­kom­mu­nis­mus durch­lit­ten haben. Ihre Wer­ke fol­gen kei­ner Theo­rie, son­dern ein­zig dem Drang, sich emo­tio­nal und spi­ri­tu­ell mit­zu­tei­len. Ador­no zufol­ge lässt sich die Idee von Har­mo­nie nur noch durch ihre strik­te Ver­wei­ge­rung aus­drü­cken – es funk­tio­niert aber (auch) umgekehrt.

Vasks ist ein Welt­ver­wüs­tungs­be­traue­rer und Welt­ver­zau­be­rungs­zu­rück­wün­scher. Sei­ne Kom­po­si­tio­nen basie­ren über­wie­gend auf dem war­men, sin­gen­den, oft auch schril­len Klang der Strei­cher. Vom post­mo­der­nen Pathos­ver­zicht weiß die­se Musik nichts. Letzt­lich han­delt es sich bei jedem Vasks-Stück um geist­li­che Musik, sei­ne Wer­ke sind sozu­sa­gen kom­po­nier­te Iko­nen. Die auf die­ser CD ver­sam­mel­ten Stü­cke sind es expli­zit. Ich ken­ne kei­nen Leben­den, der etwas so Schö­nes und Ergrei­fen­des wie das ein­lei­ten­de „Pater nos­ter” schaf­fen könn­te: ein musi­ka­li­sches Gebet, das, mit den Wor­ten des Pfar­rer­soh­nes aus Riga, „in unse­rer all­ge­mei­nen Welt­ver­lo­ren­heit um Füh­rung bit­tet”. Auch der her­be, gleich­sam wun­de Klang der „Mis­sa” ist ganz ein­zig­ar­tig, wenn­gleich den Höhe­punkt der Auf­nah­me wohl das gewal­ti­ge „Dona nobis pacem” bildet.

Pete­ris Vasks: Pater nos­ter; Dona nobis pacem; Mis­sa. Lat­vi­an Radio Choir, Sin­fo­ni­et­ta Riga; Sig­vards Kla­va (Diri­gent)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Nr. 110, März 2011

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