Richard Wagner: Parsifal

 

Mit Wag­ners Opern ver­hält es sich so, dass vie­le sei­ner Ver­eh­rer in jün­ge­ren, ner­ven­stär­ke­ren Jah­ren den „Tris­tan“ und den „Ring“ bevor­zu­gen, spä­ter frei­lich zu den „Meis­ter­sin­gern“ und/oder zum „Par­si­fal“ schwen­ken (also zumin­dest weiß ich es von mir, von Eck­hard Hen­scheid und von mei­nem Freund Pas­cal.). „Par­si­fal“ ist eine Oper ohne Gegen­stück, von Wag­ner auf den soli­tä­ren Begriff „Büh­nen­weih­fest­spiel“ gebracht, Nietz­sche spot­te­te „Ope­ret­ten­stoff“, Ste­fan Mickisch spricht vom „Mys­te­ri­en­dra­ma“. Ich habe den Stoff nie ganz kapiert und ver­spü­re auch nicht das Ver­lan­gen danach, inso­fern ten­die­re ich zu Mickischs Benen­nung. Die­se Musik gehört zum Geheim­nis­volls­ten und Gött­lichs­ten auf der Welt. Wenn in der aktu­el­len Bay­reu­ther Insze­nie­rung Par­si­fal am Ende in den Bun­des­tag ein­zieht, nach­dem er das haken­kreuz­be­flagg­te Klings­or-Reich der Ver­damm­nis über­ant­wor­tet hat, sieht man frei­lich, was aus Tran­szen­denz wird, wenn sie in die Hän­de der Moder­nen fällt.

Jeder Diri­gent die­ses Wer­kes steht vor dem Pro­blem des rich­ti­gen Tem­pos – Knap­perts­buschs 1951er Ein­spie­lung etwa ist eine gan­ze Stun­de län­ger als die von Bou­lez. Die­se orches­tra­le Aus­gie­big­keit hat ers­tens alles Recht der Welt, zwei­tens eini­ge Nach­tei­le, näm­lich eine gewis­se dra­ma­ti­sche Erschlaf­fung im Sän­ge­ri­schen. Chris­ti­an Thie­le­mann hält die Waa­ge, er lässt das Orches­ter schwel­gen, aber die Sän­ger nie hän­gen. Hier wird zele­briert, aber nicht geschleppt. Die Pau­se nach Kundrys „Ich sah ihn – ihn – und… lach­te!“ (näm­lich den kreuz­tra­gen­den Hei­land), hält er übri­gens so lan­ge, dass man in die Kan­ti­ne gehen könn­te. Der Orches­ter­klang ist ganz ein­zig­ar­tig, satt und trans­pa­rent, die Sän­ger kön­nen – Wal­traud Mei­er als Kundry aus­ge­nom­men – lei­der nicht ganz mit­hal­ten, aber es gibt eben kei­ne voll­ende­ten Auf­nah­men. Die Spat­zen pfei­fen es ohne­hin seit Jah­ren von den Dächern, nun liegt ein wei­te­rer Beweis vor: Es gibt wie­der einen gro­ßen deut­schen Dirigenten.

Richard Wag­ner: Par­si­fal; Chris­ti­an Thie­le­mann; Wal­traud Mei­er, Pla­ci­do Dom­in­go, Falk Struck­mann, Franz-Josef Selig, Wolf­gang Bankl; Chor und Orches­ter der Wie­ner Staats­oper (Deut­sche Grammophon) 

 

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