Wiedervorlage aus aktuellem Anlass: Ein „Focus”-Artikel aus dem Jahr 2010
Es gibt in Deutschland Millionen Konservative, aber keine Partei, die sie vertritt. Welche Ziele würde eine solche Partei verfolgen?
Was ist eigentlich konservativ? Was ist rechts? Eine konservative oder rechtskonservative Partei, so es eine gäbe, würde darauf hinweisen, dass beide Begriffe eine politische Normalität beschreiben, aber in Deutschland auf Grund jahrzehntelanger Abwertung einen Hautgout besäßen, den sie nicht nur nicht verdient hätten, sondern der antidemokratisch wirke. Wo es eine Linke gibt, würde sie erklären, müsse es aus simplen Gründen des Gleichgewichts und der Repräsentativität eine Rechte geben. Vielleicht würde sie bildlich sprechen und formulieren: Der Bundesadler ist ein Krüppel, er hat nur einen Flügel.
Eine konservative Partei würde darauf bestehen, dass Volk und Nation keineswegs Begriffe aus der politischen Rumpelkammer seien, sondern Tatsachen, dass weder eine „Bevölkerung“ noch „die Menschen draußen im Lande“ (Angela Merkel) politische Größen oder politische Subjekte sind. Sie könnte Spinoza zitieren mit dem Satz, dass der Versuch, sich im Sein zu halten, das erste und einzige Prinzip der Individuation sei und dass dies natürlich auch für Völker gelte.
Eine konservative Partei würde also dafür plädieren, der Globalisierung nicht blindlings zu folgen, sondern ihr das selbstbewusst Eigene entgegenzusetzen. Sie würde sich verstehen als eine Kraft des Beharrens, die der herrschenden Neu=gut-Manie mit gesundem Menschenverstand begegnet. Die Existenz einer konservativen Partei würde überdies bedeuten, dass die Anthropologie wieder in die deutsche Politik einzöge. Konservative gehen davon aus, dass viele Probleme aus einem zu optimistischen Menschenbild und daraus resultierender Überforderung der Menschen entstehen; konservativ wäre eine Politik der Selbstverantwortung und Selbsthilfe, aber auch der Entlastung des Menschen durch Institutionen.
Eine konservative Partei würde, so sie denn eine wäre, die deutsche Leitkultur als eine Selbstverständlichkeit betrachten und zunächst darauf hinweisen, dass Leitkultur der Gegenbegriff zu Multikultur sei. Sie würde sodann erklären, dass deren Minimum zwar in der Beherrschung der Sprache und der Akzeptanz des geltenden Rechts bestünde, hinzu aber die schwer zu definierenden Gepflogenheiten kämen, die Länder und Völker nun einmal voneinander unterscheiden und sich zwar nicht verordnen lassen, aber politisch unterstützt werden können. Sie könnte darauf hinweisen, dass etwa die Weltgeltung von „made in Germany“ nicht aus der deutschen Verfassung, sondern aus der deutschen Mentalität herrühre. Eine konservative Partei würde darauf bestehen, dass in unserem Weltteil die Leitkultur notwendig christlich geprägt sei, auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung sich nicht mehr als Christen verstünde. Sie würde dies vor allem damit begründen, dass sich fast 2000 Jahre lang nahezu alle intelligenten Menschen der europäischen Kultur in Beziehung zum Christentum gestellt haben, egal, ob apologetisch, kritisch oder atheistisch, und dass es „geistiger Selbstmord“ sei, sich „aus diesem Traditionszusammenhang herausreflektieren“ zu wollen (Norbert Bolz).
Für eine konservative Partei wären Kultur und Bildung nationale Aufgaben ersten Ranges. Sie würde speziell die deutsche Sprache als eine der großen Kulturschöpfungen der Welt erhalten und fördern und dies zum Staatsziel mit Verfassungsrang erklären. Natürlich wüsste auch eine konservative Partei, dass Englisch heute die Lingua franca ist. Die Durchsetzung der Zwei- oder Mehrsprachigkeit bei den Schülern wäre konservatives Programm, doch der Verstümmelung des Deutschen träte sie entgegen, zum Beispiel durch die Forderung nach dem Verbot, in staatlichen Verlautbarungen und amtlichen Papieren Anglizismen zu verwenden, durch Prämierung von Begriffsneuschöpfern und Eindeutschern usw.
Eine konservative Partei wäre eine Partei der EU-Skepsis. Sie würde sich gegen den Brüsseler Zentralismus und die Entmündigung ganzer Völker wenden. Sie würde dafür plädieren, dass Europa ein Staatenbund bleibt und kein Bundesstaat wird, weil der Kontinent seine historische Größe der Verschiedenheit seiner Nationen verdanke und kein vernünftiger Grund existiere, diese Verschiedenheit aufzugeben. Sie würde erklären, dass Brüssel weder festzulegen habe, wie krumm Bananen sein dürften noch was Diskriminierung sei.
Finanzpolitisch stünde für eine solche Partei die nationale Stabilität turmhoch über den Alimentierungs-Bedürfnissen anderer Staaten. Sie würde darauf bestehen, dass in Deutschland das Verbot durchgesetzt wird, Schulden aufzunehmen, um andere Länder zu finanzieren. Sofern sich Länder wie Griechenland und Spanien nicht stabilisieren, würde sie mittelfristig die Verkleinerung der Euro-Zone anstreben. Sie würde außerdem daran festhalten, dass die Türkei nicht in die EU gehört.
Eine konservative Partei würde dafür kämpfen, die gesamte Bulmahn’sche Universitätsreform rückgängig zu machen. Sie würde erklären, dass Universitäten Wissensspeicher und Stätten der Bildung seien, nicht Fachhochschulen erster Klasse und Zulieferbetriebe für die Industrie. Sie würde daran erinnern, dass Deutschland einst als das „Land der Universitäten“ galt und darum weltweit beneidet wurde, und versuchen, diesen Ruf wiederzubeleben. Dazu gehörte für eine solche Partei auch, dass die Würde der Universität wieder hergestellt wird. Studenten, die sich in Jeans und Sandalen ihr Diplom abholen, dürfte es nicht mehr geben. Ein mehrgliedriges Bildungssystem wäre für eine konservative Partei eine Selbstverständlichkeit, da sie die Förderung der Begabten für dringlicher hielte als die der Unbegabten.
Die demografische Entwicklung wäre aus der Sicht einer wirklich konservativen Partei nichts weniger als eine Katastrophe. Konservative glauben nicht daran, dass sich gewachsene Mentalitäten und Strukturen einfach durch Bevölkerungsaustausch ersetzen lassen. Ausschließlich die sogenannte traditionelle Familie verdiente für eine konservative Partei staatliche Förderung, zum Beispiel in Form von Zuschüssen für Ehepartner, die wegen der Kinder nicht arbeiten gehen („Hausfrauengeld“). Sie würde Familien mit Kindern steuerlich weit stärker begünstigen und Kinderlose stärker besteuern.
Eine konservative Partei würde darauf bestehen, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist, das große Flächen zu besiedeln hat, sondern im Gegenteil ein überbevölkertes Land, das wegen seiner Überalterung in einigen Branchen freilich längerfristig begrenzt Arbeitskräfte benötigt. Sie würde eine Politik fordern, die die Einwanderung in die Sozialsysteme beendet und Einwanderung ausschließlich über den Arbeitsmarkt vollzieht. Sie würde den lebenslangen Anspruch auf Sozialhilfe abschaffen und nach amerikanischem Vorbild leistungslose Einkommen auf wenige Jahre – gerechnet auf das gesamte Leben – beschränken, allein erziehende Mehrfachmütter ausgenommen. Sie würde die Integration von hierzulande desintegriert und auf Staatskosten lebenden Ausländern durch ein System von Zwängen und Anreizen durchzusetzen versuchen. Sie würde darauf bestehen, dass kriminelle Ausländer das Land zu verlassen haben, dass sich Nichtdeutsche nicht in die Politik einmischen dürfen und dass ihnen die Grundrechte der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nicht zustehen.
Nach dem Willen einer konservativen Partei müsste der Staat die Kontrolle über den öffentlichen Raum zurückgewinnen und der Schutzmann an der Ecke wieder ins Stadtbild zurückkehren. Den absurden Zustand, dass die Polizei in guten Gegenden Parksünder verfolgt und in schlechten Gegenden nicht einmal den Versuch unternimmt, dieselben Autos vor Vandalismus zu schützen, würde sie nicht hinnehmen.
Eine konservative Partei würde darauf bestehen, dass deutsche Soldaten außerhalb Europas nichts zu suchen haben, Aktionen zur Sicherung des Handels, z.B. gegen Piraterie, ausgenommen. Ideologisch begründete Kriege zur Demokratisierung von Drittweltstaaten mit deutscher Beteiligung wären mit einer solchen Partei nicht zu führen. Die Bundeswehr würde nach ihrem Willen in eine Berufsarmee umgewandelt, deren Aufgabe die Landesverteidigung und im Krisenfalle die Sicherung des inneren Friedens ist. Der Wehrdienst würde jedoch nicht völlig entfallen, sondern durch einen kurzen Grunddienst an der Waffe ersetzt, der elementare Kenntnisse für den besagten Krisenfall vermittelt.
Quasisozialistische Maßnahmen wie Frauenquoten, Gender-Mainstreaming und das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz würde eine konservative Partei bekämpfen und abzuschaffen suchen, da sie selbst diskriminieren. Der „Kampf gegen rechts“ erführe, wie auch ein allfälliger „Kampf gegen links“, nach ihrem Willen keine staatliche Unterstützung mehr.
Eine konservative Partei würde stattdessen dafür kämpfen, dass der Gedanke der Sühne ins Gerichtswesen zurückkehrt. Sie würde daran erinnern, dass Verbrecher nicht erstlinig zum Zwecke der Resozialisierung bestraft werden, sondern weil sie ihren Opfern Leid zugefügt haben, dass den Opfern Genugtuung zu verschaffen, indem die Täter leiden, die vornehmste Aufgabe des Strafrechts ist.
Eine konservative Partei wäre auch eine zentralistische Partei. Sie würde dafür plädieren, dass Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen Bundesländern zugeschlagen und andere Bundesländer zusammengelegt werden.
Eine konservative Partei würde nach Maximen handeln wie: Rechne mit deinen Beständen! Orientiere Politik nicht an Wünschbarkeiten! Tatsachen sind wichtiger als Diskurse! Und im Zweifelsfalle würde sie erstens die Feststellung des Earl of Balfour zitieren: „Es ist besser, wenn unser Schiff still steht, als wenn es auf ein Riff läuft“, zweitens die Bemerkung von Joachim Fest: „Die Wirklichkeit ist immer rechts.“
Erschienen in: Focus 38/2010, S. 54 ff.