Holocaustleugner und Pyramidioten

Über eini­ge Ähn­lich­kei­ten in der Argu­men­ta­ti­on von Holo­caust­leug­nern und „Pyra­midio­ten“. Eine etwas gro­tes­ke Betrachtung

Außer dass der Bun­des­tag, wenn man ihn frag­te, bei­de Taten strikt ableh­nen wür­de, schei­nen der Holo­caust und die Errich­tung der ägyp­ti­schen Pyra­mi­den nicht das Gerings­te gemein­sam zu haben. Man­che mögen bereits die­se Gegen­über­stel­lung als völ­lig geschmack­los emp­fin­den. Die Poin­te wird sie hof­fent­lich halb­wegs rechtfertigen.

Man soll­te sich, aus der gro­ßen zeit­li­chen Fer­ne, schnell dar­auf eini­gen kön­nen, dass der Pyra­mi­den­bau zu den Groß­ta­ten des Men­schen­ge­schlechts gehört – zumal sich inzwi­schen unter Fach­leu­ten die Mei­nung durch­ge­setzt hat, dass die Drei­ecks­do­me kei­nes­wegs von hun­dert­tau­sen­den Skla­ven, son­dern im Gegen­teil von ein paar tau­send Spe­zia­lis­ten „empor­ge­spitzt“ (Tho­mas Mann) wur­den. Die Ermor­dung meh­re­rer Mil­lio­nen Juden durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten gehört wie­der­um zu den gro­ßen Schand­ta­ten der Mensch­heits­ge­schich­te. Was bei­de Ereig­nis­se gemein­sam haben, ist also ihre Super­la­ti­vi­tät; Groß­tat wie Untat ste­hen an den jeweils äußers­ten Enden des­sen, wozu Men­schen fähig sind, was im Kon­struk­ti­ven wie im Zer­stö­re­ri­schen men­schen­mög­lich ist.

Die­ses Über­schrei­ten allen nor­ma­len Maßes hat dazu geführt, dass immer wie­der Zwei­fel an bei­den Taten bzw. an ihrer gän­gi­gen Dar­stel­lung laut wur­den. Auf der einen Sei­te gibt es Holo­caust-Leug­ner, die bestrei­ten, dass der Mas­sen­mord, spe­zi­ell jener in den Gas­kam­mern, über­haupt statt­ge­fun­den habe. Auf der ande­ren Sei­te exis­tiert eine statt­li­che Zahl von Publi­ka­tio­nen, deren Autoren nach­zu­wei­sen suchen, dass die Pyra­mi­den nicht das Werk der alten Ägyp­ter sei­en. Spin­ner? Luna­tic frin­ge? Gewiss, mit aller Wahr­schein­lich­keit. Aber man kann die­se Zwei­fel öfter hören, auch von, wie man sagt, nor­ma­len Leu­ten, und zwar ohne die Ver­hetzt­heit der Neo­na­zis oder das peku­niä­re Inter­es­se von Autoren wie Erich van Däni­cken. Jeden­falls ver­kau­fen sich die soge­nann­ten „grenz­wis­sen­schaft­li­chen“ Bücher über die Pyra­mi­den bes­ser als die Arbei­ten der Ägyp­to­lo­gen. Wie es sich mit den Schrif­ten der soge­nann­ten „Nega­tio­nis­ten“ ver­hal­ten wür­de, wären sie frei ver­käuf­lich, steht dahin.

In bei­den Fäl­len ergibt sich nun aber ein gewal­ti­ger Wider­spruch. Die einen ste­hen an der Che­ops-Pyra­mi­de, stau­nen über die zwei­ein­halb Mil­lio­nen Kalk­stein­blö­cke, sie­ben Mil­lio­nen Ton­nen Stein, mil­li­me­ter­ge­nau getürmt, exakt nach den vier Welt­ge­gen­den aus­ge­rich­tet, die bis zu jeweils 30 Ton­nen schwe­ren Gra­nitt­rä­ger mit­ten­drin, star­ren ungläu­big auf ein paar Kup­fer­mei­ßel, Holz­schlit­ten und Bast­stri­cke, die ihnen als Werk­zeu­ge prä­sen­tiert wer­den und sagen: Unmög­lich kön­nen das die alten Ägyp­ter geleis­tet haben. Aber die Pyra­mi­den ste­hen unüber­seh­bar am Nil. Die ande­ren betrach­ten die Rui­nen der von der SS noch kurz vor Tore­schluss gespreng­ten Kre­ma­to­ri­en von Bir­ken­au und erklä­ren ange­sichts der Klein­heit und Pri­mi­ti­vi­tät die­ser Anla­gen, dass ein sol­cher Mas­sen­mord an einem sol­chen Ort gar nicht mög­lich sei. Aber die Men­schen sind ver­schwun­den, man hat ihre Klei­der, Bril­len, Pro­the­sen usw. gefun­den, ein Teil davon ist im Ausch­witz-Muse­um zu besich­ti­gen, und es gibt Zeu­gen aus den Todes­la­gern, die den all­ge­gen­wär­ti­gen Mord bekun­det haben.

Ande­rer­seits sind weder der Pyra­mi­den­bau noch die Mas­sen­ver­ga­sun­gen zuver­läs­sig und detail­liert doku­men­tiert. Es exis­tie­ren kaum Doku­men­te und Auf­zeich­nun­gen. Was bei der Groß­tat die Jahr­tau­sen­de tilg­ten, ver­schwand bei der Untat durch Geheim­hal­tung und Spu­ren­ver­wi­schung. Von den Werk­zeu­gen des kolos­sa­len Mor­des und von den Werk­zeu­gen des kolos­sa­len Baus exis­tie­ren nur spär­li­che Rudi­men­te. Nie­mand weiß, wie der Schluss­stein auf die Che­ops-Pyra­mi­de gesetzt wur­de, und nie­mand weiß, wie es in den Gas­kam­mern zuging.

Hier set­zen bei­de, Gas­kam­mer-Leug­ner und „Pyra­midio­ten“, an. Bei den einen liest man, das Anhe­ben vie­ler Ton­nen schwe­rer Gra­nit­bal­ken auf die Höhe eines zehn­stö­cki­gen Hau­ses sei mit alt­ägyp­ti­scher Tech­nik unmög­lich gewe­sen. Bei den ande­ren liest man, die Ermor­dung sound­so­vie­ler Men­schen unter die­sen und jenen Umstän­den mit die­sen und jenen Mit­teln sei tech­nisch gene­rell nicht mög­lich gewesen.

Das Pro­blem ist nun, dass die Alter­na­ti­ven, die bei­de Leug­nungs­zir­kel vor­schla­gen, noch haar­sträu­ben­der sind als die in Fra­ge gestell­ten Taten sel­ber. Was die Pyra­mi­den angeht, lau­ten die bei­den favo­ri­sier­ten Ver­sio­nen bekannt­lich, sie sei­en ent­we­der das Werk eines geheim­nis­vol­len Urvol­kes mit tech­ni­schen Kennt­nis­sen, die danach ver­lo­ren­gin­gen, oder eben gleich und gar von Außer­ir­di­schen. Bei den Mas­sen­ver­ga­sun­gen in den Ver­nich­tungs­la­gern im Osten soll es sich um eine nach­träg­li­che Pro­pa­gan­da-Erfin­dung han­deln, um Deutsch­land auf Äonen zu erpres­sen. Die Wir­kung der Pro­pa­gan­da sei so stark gewe­sen sei, dass schließ­lich sogar die ehe­ma­li­gen Lager­in­sas­sen in ihren Erin­ne­run­gen von Gas­kam­mern zu berich­ten anfin­gen. (Was übri­gens die Mas­sen­er­schie­ßun­gen der Ein­satz­grup­pen betrifft, sind die­se zumin­dest durch die soge­nann­ten Ereig­nis­mel­dun­gen besag­ter Mord­kom­man­dos sogar zah­len­mä­ßig sehr genau doku­men­tiert, und man soll­te den­je­ni­gen, die die­se Zah­len nicht glau­ben, die Bemer­kung Ernst Nol­tes in Erin­ne­rung rufen, wenn sie über­trie­ben sei­en, doku­men­tier­ten sie immer­hin, dass eine hohe Mord­quo­te bei den SS-Füh­rern aus­drück­lich erwünscht gewe­sen sei.)

Unlängst brach eine Theo­rie zusam­men, die nach­wei­sen woll­te, die Ägyp­ter hät­ten mit Kup­fer­sä­gen kein Gra­nit schnei­den kön­nen, indem ein Inge­nieur ein­fach die Pro­be aufs Exem­pel ver­an­stal­te­te (unter Zuhil­fe­nah­me von Sand). Ähn­li­che Pro­ben mit Ausch­witz-ähn­li­chen Ver­suchs­an­ord­nun­gen und unter Betei­li­gung aus­ge­wähl­ter Leug­ner ver­bie­ten sich heut­zu­ta­ge bekannt­lich aus huma­ni­tä­ren Skrupeln.

Immer­hin: Man­che Ein­wän­de waren auch stich­hal­tig und der Wahr­heits­fin­dung hilf­reich. In bei­den Fäl­len wur­de die Fach­welt von luna­tic frin­ge her­aus­ge­for­dert und gewis­ser kano­ni­sier­ter Unsin­nig­kei­ten über­führt. Weder Ägyp­to­lo­gen noch His­to­ri­ker sind Tech­ni­ker; man sah sich spe­zi­ell in tech­ni­schen Fra­gen über­for­dert. Es ist zwar maka­ber, aber für einen His­to­ri­ker uner­läss­lich, dass er zum Bei­spiel über­prüft, wie sich ein Gas che­misch ver­hält, wie­vie­le Men­schen in eine Gas­kam­mer bestimm­ter Grö­ße pas­sen kön­nen und nicht ein­fach eine Zahl über­nimmt, oder dass er unglaub­wür­di­ge Augen­zeu­gen­be­rich­te zurück­weist. Wei­te­re Details sei­en hier erspart; man kann sie zum Bei­spiel bei Jean-Clau­de Pres­sac nach­le­sen. Ähn­lich hilf­reich waren zuwei­len die Ein­wän­de der Pyra­mi­den-Skep­ti­ker gegen gewis­se von der Fach­welt vor­ge­schla­ge­ne Bau­me­tho­den, die ein­fach nicht funk­tio­niert haben können.

Die inter­es­san­tes­te Par­al­le­le bei­der Leug­nun­gen ist das Igno­rie­ren des Pro­zes­ses, der zu jenem Höhe­punkt führ­te, der letzt­lich bestrit­ten wird. Was den, wie sie sich sel­ber nen­nen, „Pyra­mido­lo­gen“ die Che­ops-Pyra­mi­de ist – merk­wür­di­ger­wei­se hat stets nur nur die Gro­ße Pyra­mi­de von Gizeh Zwei­fel her­vor­ge­ru­fen, ob sie über­haupt ein Werk von Men­schen­hand sei –, ist den Holo­caust-Leug­nern die Gas­kam­mer. Die gute wie die böse „Unglaub­wür­dig­keit“ haben in die­sem Welt­bild kei­ne Vor­ge­schich­te. Es gibt dort kei­ne Ent­wick­lung hin zu den Mas­sen­ver­ga­sun­gen, kei­ne qua­li­ta­ti­ve Stei­ge­rung des Mor­dens, kein „tri­al-and-error“ bei den Metho­den, und es gibt auf der ande­ren Sei­te kei­ne Ent­wick­lung im Pyra­mi­den­bau, kei­ne Ver­su­che und Fehl­schlä­ge. Aber in der Pro­zess­per­spek­ti­ve wer­den Groß­tat und Untat – etwas – rela­ti­ver. So wie das Che­ops-Grab­mal eine Rei­he klei­ne­rer, im Kam­mer­sys­tem ein­fa­che­rer Vor­läu­fer­bau­ten hat, die immer kom­pli­zier­ter, höher und schwe­rer wur­den, bis zur gewal­ti­gen Roten Pyra­mi­de des Sno­fru in Dashur, so gab es vor dem Mas­sen­mord in den Todes­la­gern ja die Ver­nich­tungs­or­gi­en der Ein­satz­grup­pen, die soge­nann­ten T 4‑Morde an Geis­tes­kran­ken in eben­falls schon sta­tio­nä­ren Gas­kam­mern oder die Gas­wa­gen. „Die SS-Füh­rer selbst ahn­ten 1940 noch nicht, was sie 1944 tun wür­den“, schrei­ben Robert-Jan van Pelt und Debó­rah Dwork in ihrem Buch „Ausch­witz“. Und es gab Fehl­schlä­ge, „Pan­nen“ (jedes Wort wird hier zum Euphe­mis­mus), aus denen Schlüs­se gezo­gen wur­den, wie man anders zu ver­fah­ren hat: etwa die Pro­be­ver­ga­sung rus­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner im Sep­tem­ber 1941, die nicht so funk­tio­nier­te, wie die SS es sich vor­stell­te; auf der ande­ren Sei­te die von den Pyra­mido­lo­gen igno­rier­te größ­te Bau­rui­ne der Anti­ke, die soge­nann­te Knick­py­ra­mi­de des Sno­fru in Dah­schur, ein immer­hin 105 Meter hoher Koloss aus fast andert­halb Mil­lio­nen Kubik­me­tern Stein, der unter der eige­nen Last in sich zusammensank.

Die Leug­nung des Mas­sen­mords an den Juden ist wie die Leug­nung jedes Mas­sen­mor­des eine unver­zeih­li­che Krän­kung der Opfer und über­le­ben­den Ange­hö­ri­gen. Sie ist in einem per­ver­sen Sin­ne zudem eine Belei­di­gung der SS. Das war ja kei­ne Pfu­scher­trup­pe, son­dern ein Höhe­punkt effi­zi­en­ten und gna­den­lo­sen Kil­ler­tums. Die­se Figu­ren hat­ten in den Todes­la­gern des Ostens meh­re­re Jah­re Zeit zu expe­ri­men­tie­ren, wie sie die täg­lich wach­sen­de Zahl von Juden, die ihnen geschickt wur­den, aus der Welt schaf­fen konn­ten. Ähn­lich, nur eben wie­der anders­her­um, ver­hält es sich mit den Pyra­mi­den­bau­ern, die sich in „hei­li­ger Schin­de­rei“ (noch­mals Tho­mas Mann) das Äußers­te abge­presst haben und nun von Schreib­tisch­ho­ckern und Spi­ri­tis­ten beschei­nigt bekom­men, dass könn­ten sie unmög­lich geleis­tet haben.

Sowohl die Pyra­mi­den­bau­er als auch die Juden­ver­nich­ter haben Zeug­nis­se hin­ter­las­sen. So fand man auf Pyra­mi­den­stei­nen Graf­fi­tis der Zug­mann­schaf­ten, die die Blö­cke geschleppt und geschich­tet hat­ten. Am Spät­nach­mit­tag des 3. April 1945 – Ausch­witz befand sich seit zwei Mona­ten in rus­si­schen Hän­den – pass­te der stell­ver­tre­ten­der Reichs­pres­se­chef Hel­mut Sün­der­mann in der Ber­li­ner Reichs­kanz­lei Ernst Kal­ten­brun­ner ab, den Chef des Reichs­si­cher­heits­haupt­amts, um ihn auf die rus­si­schen Mel­dun­gen über das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz und „die drin­gen­de Not­wen­dig­keit eines über­zeu­gen­den Demen­tis“ hin­zu­wei­sen. „Kal­ten­brun­ner“, schreibt Sün­der­mann in sei­nen Memoi­ren, „sah mich mit einem mir unver­gess­li­chen, halb fins­te­ren, halb trau­ri­gen Blick an und sag­te lang­sam: Da ist nichts zu dementieren.“

Im Gran­dio­sen wie im Abscheu­li­chen ist der Mensch maß­los. Man­che hal­ten das nicht aus und bezwei­feln das Über­maß. Ande­re haben bloß Inter­es­sen oder sind, wie man sagt, ideo­lo­gisch ver­blen­det. Hier schließ­lich endet der Ver­gleich zwi­schen den harm­lo­sen und den in der Regel bös­ar­ti­gen Luna­tic frin­ge. Und hier endet die­se abson­der­li­che Betrachtung.

 

Ver­öf­fent­licht am 12. Janu­ar 2009 auf der online-Platt­form „Die Ach­se des Guten”

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